Quellen: www.dainst.blog/190JahreDAI/tag-73-tiryns-wichtiges-zentrum-des-bronzezeitlichen-europas/ https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/tiryns1912a/0001 ('Tiryns: die Ergebnisse der Ausgrabungen', Wiesbaden 1912)
http://benedante.blogspot.com/2015/09/gold-signet-rings-of-minoan-and.html https://publications.dainst.org/journals/efb/1628/4523
Die
Wohnsiedlungen im
Umkreis der Burg werden
erst seit ungefähr dem Jahre 2000 freigelegt. Die jüngsten
Grabungen konzentrieren sich auf die Wohnquartiere der
Nachpalastzeit um 1200 bis 1050 v. Chr., darunter das
abgebildete nordwestliche
Quartier der Unterstadt.
Schon gegen Ende der Palastzeit hatte man nach Überschwemmungen
dieses Gebiets einen Damm angelegt und den Wildbach
über einen Kanal in ein neues Bett umgeleitet, sodass die Unterstadt
bald nach der Brandkatastrophe neu besiedelt werden konnte. Durch die
Grabungen erwartet man nun spezielle sozial- und kulturgeschichtliche
Aufschlüsse, da für Tíryns im Gegensatz zu den anderen
mykenischen Burgsiedlungen ein
erheblicher Bevölkerungszuwachs
und ein relativ hoher Lebensstandard festzustellen war.
Der
oben abgebildete goldene
Siegelring gehört
zu einem größeren Schatz, den 1915 Mitarbeiter des Archäologen
Apostolos Arvanitopoulos in einem megaronähnlichen Gebäude
der nordöstlichen postpalatialen Unterstadt fanden.
Es dürfte ein herrschaftlicher Kultschatz (keimélion) gewesen sein,
da die meisten Fundstücke – Schmuck und Zeremonialgeräte
– zwar aus dem 13. und 12. Jh. v. Chr. stammen, andere
aber wie dieser „größte
Goldsiegelring
der
ägäischen Bronzezeit”
bis auf das 15.
Jh. zurückgehen. Das Siegelmotiv zeigt offenbar ein
Fruchtbarkeitsritual: Unterhalb
von Sonne und Neumondsichel empfängt eine thronende Herrscherin
oder Göttin (Demeter?) mit erhobenem Kelch
eine mit Trankopfern zwischen Weizenähren
heranschreitende Prozession von Fabelwesen
(mit Tiermerkmalen von Löwe und Insekt).
Auch
die Untersuchungen der Oberburg sind noch nicht abgeschlossen. Unter
den Fresken
des um 1250 v.
Chr. neu errichteten Palastes ist
es vor allem die Frauenprozession,
die den auch kultisch hohen Rang des Megarons belegt.
Populär wurde die schon von Schliemann und Dörpfeld abgebildete
Einzelperson, die aus über 600 Freskenfragmenten beinahe
lebensgroßer Frauenfiguren
rekonstruiert wurde. Diese Wandgemälde der Prozession zogen
sich von der Vorhalle und dem Vorraum des Megaronbereichs bis in den
Hauptraum hinein. Jüngst fand man weitere
Freskenreste im Brandschutt der zerstörten Oberburg, wodurch
zum ersten Mal eine genauere
Rekonstruktion etwa
der Gewandfalten und -muster der wohl 14 Frauen möglich wurde.
Die Wespentaillen der Frauen wie die jener Fabelwesen belegen
ein andermal die engen Kontakte zwischen dem mykenischen und dem
kretisch-minoischen Kulturkreis. So
zeigt auch ein Wandgemälde in der Vorhalle des
mykenischen Palastes von Pylos eine
Prozession mit Frauen und Männern, die sich wohl mit einem –
den Kretern heiligen und dort gleichfalls in
Opferprozessionen dargebrachten –
Stier ebenfalls auf den
Thronsaal hinbewegt.
Man
könnte sich noch fragen, warum auf keinem der Wandgemälde Szenen
mit den mythischen, ungefähr auf das 14. Jh. v. Chr. datierten
Königen von Tíryns zu sehen ist, mit Perseus etwa oder
Amphitryon. Nun, diese von antiken Literaten stammenden
Datierungen waren ziemlich willkürlich; die griechische Mythologie
gewann ja erst seit ungefähr 800 v. Chr. eine feste
Gestalt, durch Homer und Hesiod, und so dürften jene Königsmythen
sich erst nach der mykenischen Palastzeit bestimmt genug
herausgebildet haben.
*
Wir verlassen „die
festummauerte Tiryns” (so Homer im Schiffskatalog der Ilias) und erreichen nach kaum einer halben Autostunde unser Hotel in Toló
am Argolischen Golf. Von hier
aus wollen wir morgen früh zu dem Amphitheater von Epídauros und
nachmittags auf dem Rückweg nach Náfplion fahren.
- 36 -