http://archaeologicalresource.com/Books_and_Articles/Tree_and_Pillar_Cult_Medit_Evans_1901/Tree_and_Pillar_Cult-Mediterranean_Evans.html?i=1
Vor dem Verlassen der Burg sehen wir uns noch das nun nicht mehr von Besuchergruppen umlagerte Löwentor näher an. Um 1250 erbaut, war es immer sichtbar geblieben und seit dem frühen 19. Jh. durch Lithographien insbesondere von Magnus v. Stackelberg (1812) und Edward Dodwell (1821) europaweit bekannt geworden. Zeichnungen wie die abgebildeten von Dodwell dokumentieren den Anblick des halb verschütteten Tores, der sich ungefähr so noch Schliemann zu Beginn seiner Freilegungsarbeiten im August 1876 bot.
Die beiden Tiere in dem Relief über dem Torsturz deutete Schliemann als Löwen und berief sich bei seiner Interpretation des Frieses auf entsprechende mythologische Quellen. Jüngeren Studien zufolge könnten es auch Löwinnen oder (Löwen-)Greife gewesen sein. Als mögliche Herkunft dieses Motivs wird oft Vorderasien genannt, näherliegend freilich wäre das minoische Kreta, das seinen Eroberer Mykéne kulturell erheblich bereichert hatte. So finden sich denn auch Sakralmotive wie die mit den oben abgebildeten Löwen- und Greifenpaaren öfter unter den kretischen Grabungsfunden von Arthur Evans.
Die vermutlich dem Herantretenden zugewandten Köpfe der Tiere, so Schliemanns Befund, waren entgegen der allgemeinen Annahme nicht abgeschlagen, sondern demontiert worden, da er an ihren Hälsen Löcher für Bolzen fand. Die Köpfe waren seiner Vermutung nach aus Bronze gegossen und womöglich vergoldet gewesen, während man mittlerweile auch Speckstein oder Elfenbein in Erwägung zieht. Für den Maler, Altertumsforscher und Reiseschriftsteller Dodwell war diese älteste bislang in Europa gefundene Großplastik im „ägyptischen Stil” gearbeitet, während die spätere Forschung eher eine vorderasiatische Prägung in Betracht zog, die also vermutlich zunächst von den minoischen Kretern adaptiert worden war.
Dodwell hatte zum Löwentor noch angemerkt, dass der Zugang, der gewaltige Torsturz, das Entlastungsdreieck und andere Baudetails weitgehend der Konstruktion des sogenannten Schatzhauses des Atreus und der anderen mykenischen Kuppelgräber entspricht und beide Bautypen darum aus demselben Zeitraum stammen müssten. Bautechnisch jedenfalls erfordert die zyklopische Konstruktion einen Entlastungsstein über dem Portal; dessen spezielle Dreiecksform stimmt harmonisch mit der Aufstellung von antithetisch eine Säule flankierenden Tieren überein.
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