Quellen:
www.aeria.phil.uni-erlangen.de/science-blog/1997_Pylos/1997_Pylos.html
https://reise-zikaden.de/peloponnes-nestorpalast-pylos-mykener-navarino-messenien/
www.smithsonianmag.com/history/golden-warrior-greek-tomb-exposes-roots-western-civilization-180961441/
In
dem Palastarchiv westlich neben dem Eingangsbereich fand Carl Blegen
schon am ersten Grabungstag einige Tontäfelchen mit der mykenischen Silbenschrift Linear-B,
am Ende seiner Grabungskampagnen waren es annähernd 1250. Sie
enthalten Aufzeichnungen für die Verwaltung beider Provinzen
dieses Reichs und wurden zumeist unmittelbar vor dem Palastbrand
beschrieben, durch ihn gehärtet und so vorzüglich konserviert.
Schon Arthur Evans hatte 1900 im kretischen Knossos an die 1000
solcher Täfelchen gefunden, ihre
Beschriftung im Unterschied zu den minoischen
Linear-A-Täfelchen als Linear-B benannt, konnte dieses aber
ebenso wenig wie das Linear-A lesen und hielt es gleichfalls für
minoisch. Erst nach der posthumen
Veröffentlichung seiner Linar-B-Schriftfunde
entzifferten 1952 Michael Ventris und John Chadwick die Sprache
als eine frühgriechische, die durch die zuvor
schriftlosen mykenischen Eroberer
des minoischen Kreta adaptiert worden war. Dabei
kam ihnen auch der Blegen-Schüler Emmett L. Bennett zu Hilfe, der in
Blegens Auftrag 1951 dessen Linear-B-Funde
von Pylos publizierte und wie auch Blegen in
engen Kontakt mit Ventris trat.
Das
zweistöckige Zentralgebäude von Pylos verfügte über etliche
Innenhöfe; umgeben war es von Werkstätten, einem Heiligtum und
(Wein-)Depots. Im Südwesten grenzt es an einen älteren und
seinerzeit weiterhin bewohnten Palast,
der nach Nestors Vater
mittlerweile gern als „Palast des Neleus” bezeichnet wird.
– Während des Rundgangs mache auch ich eine kleine Entdeckung:
Es ist eine Gottesanbeterin, die still und
in perfekter Mimikry auf einem Pfeiler ruht oder
wie scheinheilig lauert.
Weitere
Palastfunde sehen wir uns danach in dem gut 4 km entfernten
archäologischen
Museum des Dorfes Chora an,
darunter Freskenfragmente der Wandbemalung des Megarons. Die abgebildeten Bruchstücke
mit dem gewissermaßen homerischen Motiv eines Lyraspielers (und
Rhapsoden?) lassen die Schwierigkeiten bei der
Rekonstruktion erahnen, die Piet de Jong angesichts des
Erhaltungszustandes der Fragmente
hatte. Ausgestellt sind zu unserer Überraschung auch stilisierte Kult- oder Weihehörner,
die wie in Knossos auch in Pylos das Palastdach krönten. Von
einigen Täfelchen mit der Linear-B-Schrift
werden lediglich Gipsabdrücke gezeigt, da
die Originale wie andere kostbaren Funde aus dem Palast im
Nationalmuseum Athen zur Schau gestellt
werden.
Postskript
Juni 2019: Dieser
Hügel „Epano Englianos” hat seit unserem Besuch noch eine
weitere Überraschung freigegeben. 2015 stießen nämlich die
Archäologen Sharon Stocker und Jack Davis von der University of
Cincinnati – Blegen unterrichtete an ebendieser Universität – in
einem kleinen Olivenhain unweit des Palastes auf ein
intaktes gemauertes Schachtgrab.
Es enthielt einen verfallenen Holzsarg mit einem Skelett und einer
Fülle von Grabbeigaben, darunter kretische Siegelsteine
mit minoischen Stierspringern. Das abgebildete
Bronzeschwert mit vergoldeten Elfenbeingriff deutet auf ein
Kriegergrab, doch schien wegen des ungewöhnlich
reichen Schmucks sowie eines Bronzespiegels und sechs
Elfenbeinkämmen auch eine Kriegerin in
Betracht zu kommen. Die schon bald in Aussicht gestellte
DNA-Analyse lässt auf sich warten, womöglich gibt man
sich mit der plastischen Rekonstruktion
des Gesichts zufrieden, die – mit Gesichtern
heutiger griechischer Männer gekreuzt! –
einen 30- bis 35-jährigen Mann zeigt. Wie der auf der nächsten
Seite abgebildete Krieger trug er langes
Haar. Beigesetzt wurde er ungefähr um 1500 v. Chr., ein
Jahrhundert vor der Gründung des sogenannten
Nestorpalastes und der mykenischen
Eroberung Kretas (um 1430 v.Chr.). Zu einer Zeit also,
als es noch einen regen Austausch zwischen beiden Kulturen gegeben
haben muss und minoische Künstler auch an mykenischen
Höfen gearbeitet haben könnten.
Für
den Laien ist diese späte Entdeckung beinahe unbegreiflich,
da das in Palastnähe liegende Terrain in dem 1960er Jahren von Carl
Blegen nochmals sondiert wurde und überdies einige Randsteine aus dem Boden der
Grabstätte ragten. Hätten man nicht
schon bei der Erstgrabung durch das einfache archäologische
Verfahren der Bodenbegehung auf das Kammergrab
stoßen müssen? Moderne geophysikalische Verfahren
hielt man vermutlich später, nach erfolgter Freilegung
des Palastes, für unnötig. Das Archäologenpaar aus Cincinnati
wollte eigentlich in einem anderen Olivenhain graben, erhielt
aber keine Erlaubnis, sodass
es auf diesen benachbarten Hain auswich. Es bewies die in der
Forschung nicht selbstverständliche Größe, von
Beginn an keinen Hehl
aus dem Charakter einer Zufallsentdeckung zu
machen und nicht etwa nachträglich
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