Immer wieder erfreuen wir uns auf der Akrópolis an den Rundblicken über Athen. Gut zu erkennen sind auch einzelne Bauwerke wie die Reste des Zeustempels sowie das Panathenäische Stadion, Austragungsort der Olympischen Sommerspiele von 1896. An der Südseite der Akrópolis blicken wir auf das uralte, zu Beginn des 5. Jh. v. Chr. für die alljährlichen städtischen Dionysien in den Hang der Akrópolis gebaute Dionysostheater hinunter. Dies war der Ort, an dem die klassische attische Tragödie durch Thespis den ersten großen Entwicklungssprung machte, indem er dem Chor einen Schauspieler (wohl in Bocksgestalt) zugab – „um dem Chor einige Pausen zu gönnen”, wie Diogenes Laertios vermutete (iii 56). Die erste Aufführung eines Dramas von Thespis fand 534 v. Chr. vermutlich auf der Athener Agorá statt. Für das Jahrzehnte später gegründete erste Theater erweiterte Aischylos den Kreis der Akteure um einen zweiten Spieler, Sophokles um einen dritten und Euripides um einen vierten Spieler.
Entdeckt wurde das Theater 1862 in der Zusammenarbeit von Ernst Curtius, Carl Boetticher und Heinrich Strack, die bis dahin noch keine eigenen Grabungserfahrungen hatten. Der Architekt und Schinkelschüler Strack führte die Freilegung aus, und noch im selben Jahr begann der Architekt Ernst Ziller im Auftrag der griechischen 'Athener Archäologischen Gesellschaft' Zeichnungen von der Lage des Theaters und seinen Monumenten anzufertigen. Sein 1877 veröffentlichter Lageplan zeigt, dass dieses Theater nicht so anrührend klein und intim war, wie es sich heute von der Akrópolis her ausnimmt. Von den 78 Sitzreihen für annähernd 17.000 Zuschauer hat sich kaum ein Dutzend bei den unteren kürzeren Reihen relativ intakt erhalten; die obersten Sitzplätze waren in den Burgfelsen der Akrópolis geschlagen und 40 Meter von ihnen entfernt.
Das anfänglich nur 3000 Zuschauer fassende Theater wurde etliche Male umgebaut und erweitert; das heute zu Augen kommende Theaterrund mit Steinsitzen und Marmorsitzen für die Honoratioren geht auf die Zeit um 330 v. Chr. zurück, während viele Skulpturen und andere Ausstattungsdetails aus der römischen Kaiserzeit stammen. So wurde die zur Spielfläche hin aus Steinplatten gefügte Schranke bei der Einführung römischer Tierspiele, Gladiatorenkämpfe und Seeschlachten hinzugesetzt.
Der oben abgebildete Dionysosfries war ein Weihgeschenk aus dem 2. Jh. n. Chr. (mit Einzelteilen aus dem 1. Jh. v. Chr.). Er zeigt von links her die (Wieder-)Geburt des Dionysos aus dem Schenkel des sitzenden Zeus und die Entgegennahme des Knaben durch Hermes; auf der Friesplatte daneben ist Dionysos neben Ikarios, dem mythischen Gründer des Weinbaus, bei der Opferung einer Ziege zu sehen. Der gigantische Silen wurde in späterer Zeit hinzugefügt; die anschließende Friesplatte (in der unteren Reihe) zeigt Dionysos bei der symbolischen „heiligen Hochzeit” mit der Priesterin Basilinna und die letzte Platte, wie dem Thronenden vermutlich von seiner Amme Tyche (alias Nysa) sowie von seiner Braut Ariadne und ihrem Geliebten Theseus gehuldigt wird. Die Szene scheint im Dionysostheater selbst zu spielen, denn die Vorderbeine des Thrones gleichen den Löwenpranken am Thronsessel des Dionysospriesters.
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