Das linke Foto von Horst Fleig, das rechte von Ruth Fleig
In
den nächsten Stunden kommt mir wiederholt John Fords Film ,Trommeln
am Mohawk’
in
den Sinn. Dort sucht sich das – freilich noch junge – Ehepaar
in seiner Blockhütte einzurichten und gerät die Frau schon am
ersten Abend in dieser Wildnis in panische Angst. So abgelegen wie
hier haben auch wir noch nicht gewohnt. Die umliegenden Ferienhäuser
sind in dieser Nachsaison alle schon verwaist, der nächste Nachbar
wäre zu Fuß erst in einer dreiviertel Stunde zu erreichen. Die
Hüttentür selber ist mit einem dünnen Riegelchen eher verziert als
gesichert, einige Fenster im kaminbefeuerten Hauptraum
haben anstelle von Vorhängen oder Fensterläden nur Halbgardinen,
und ein Telefon gibt es in der Hütte auch nicht (wir sind ja im
Nokia-Land). So beschließe ich denn insgeheim, in alter
Pfadfindermanier nun tags und nachts ein Messer, das ich verstohlen
der Küchenschublade entnehme, für alle Fälle bei mir zu führen.
In dieser Gegend soll man übrigens noch gelegentlich einem aus
Russland herüberkommenden Wolf oder Bären begegnen. In Aleksis
Kivis
Roman
,Die
sieben Brüder’,
der in der ersten Hälfte des 19. Jh. spielt, ist die Begegnung mit
Bären in Südfinnland noch eine Selbstverständlichkeit, der Vater
der Sieben hatte mehr als 50 erlegt und „fand in seinen besten
Jahren einen plötzlichen Tod im Kampf mit einem wilden Bären. Beide
hatte man damals, den Fürsten der Wälder wie den Vater, tot im
Gehölz aufgefunden, Brust an Brust auf den blutgetränkten
Grund hingestreckt. Schlimm war der Mann zugerichtet gewesen, doch
auf der Bestie waren Gurgel und Flanke vom Dolchmesser zerfetzt und
die Brust von einer scharfen Flintenkugel durchbohrt.”
(Stuttgart/Helsinki 1980, S. 6).
Die
Beklemmungen, die sich auch gewissen gewalttätigen Szenen in
Kaurismäkis Filmen verdanken, werden sich freilich schon im Laufe
des zweiten Tages verflüchtigen, und ich kann darüber bald nur
lächeln.
So.
14.9.08:
Nach
dem Frühstück setze ich mich mit einer Zigarre auf die Veranda und
beginne schon mit den Reisenotizen zu Helsinki. Zweimal bricht mir
eines der nur schwer zu entzündenden Sicherheits-Zündhölzer ab.
Finnland, so lese ich später, hatte einst als erstes europäisches
Land die selbstentzündlichen Streichhölzer verboten.
Die
Birken wiegen sich in der Morgenbrise, der See wechselt
sekundenschnell zwischen bleigrauen Flächen und hellen
Silberstreifenmustern. Eine Zeitlang ist in der Nähe das feine,
meist zwei- bis dreimalige Klopfen eines insektensuchenden Spechts zu
vernehmen; und vom Wald jenseits des Sees ein mir unbekanntes Brüllen
oder Röhren, das sich manchmal dem Hundegekläff annähert. Ist es
etwa ein Elch? Oder bellt die Saimaa-Ringelrobbe so? Wie schon
am späten Abend und auch in der Nacht zu hören, kommt von Zeit zu
Zeit ein Fischer im Boot heran, stellt den Motor ab und fährt nach
wenigen Minuten weiter zum nächsten Fanggrund.
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