Wir
fahren danach zu der Große
Markthalle
(„Hala Targowa“) Breslaus, die gleich südlich der Oder liegt.
Außer Lebensmitteln findet man in dem neogotisch verkleideten
zweigeschossigen Gebäude ein besonders großzügiges Blumen-, Obst-
und Gemüseangebot sowie Textilien vor, auch ist die eine oder andere
Sitzecke beinahe wohnlich eingerichtet. Beim nördlichen Austritt aus
den Hallen liegt die
Sandbrücke
vor uns, die auf die Sandinsel hinüber führt. Wir gehen hier ein
Stück weit bis zur alten Universitätsbibliothek, die 1945 von dem
deutschen Verteidigungsstab Breslaus in Beschlag genommen wurde.
Ungefähr anderthalb Kilometer weiter östlich
liegt die Kaiserbrücke,
an deren rechten Oderufer die deutschen Verteidiger der Stadt auf der
langen und breiten Kaiserstraße noch im März 1945 einen
provisorischen Flugplatz anlegen ließen. Unter ständigem russischen
Beschuss kostete er das Leben von tausenden Zwangsarbeitern und ihren
freiwilligen Helfern (darunter Jungen ab 10 und Mädchen ab 12
Jahren). Nur ein Flugzeug konnte wahrscheinlich noch abheben, der
Fieseler Storch des fahnenflüchtigen Gauleiters und
Kampfkommandanten Hanke. In den Kämpfen sollen 6.200 deutsche und
13.000 russische Soldaten gefallen sein, während die Zahlenangaben
für die getöteten Zivilisten krass zwischen 20.000 und 170.000
schwanken.
Auf
der Brücke werden soeben Ausbesserungsarbeiten durchgeführt.
Passanten umlaufen die Arbeiter und einen kleinen Bagger, der in dem
Durcheinander sogar rückwärts rangiert. Ein Arbeiter kratzt mit
einem großen Esslöffel einen Rinnstein frei; überall fehlt es an
modernen Maschinen, sogar an Presslufthämmern: Ein anderer Arbeiter
hockt mit einem Fäustling da und zerschlägt Stückchen für
Stückchen den alten steinharten Asphalt. Im Vorbeifahren sahen wir
wiederholt und zum ersten Mal seit unseren Nachkriegsjahren Halden
mit roten, vom Speis gesäuberten Backsteinen, die man als kostbares
Baugut zwischengelagert hatte. – Die 1913 eröffnete Breslauer
„Jahrhunderthalle“,
eines der zahlreichen, diesmal aus Stahlbeton errichteten
Nachfolgebauwerke des römischen
Pantheons,
dient bis heute als Veranstaltungsort für Messen sowie kulturelle
und sportliche Veranstaltungen.
Nach
unserem langen Rundgang kehren wir zum Hotel zurück und fahren am
Abend noch einmal zum Rathausplatz, wo wir uns an der Westseite des
„Großen Rings“ vor dem wohl im 13. Jh. erbauten, in seiner
gegenwärtigen Gestalt gut 400-jährigen „Greifenhaus“
zu
einem trockenen Martini niederlassen. Derweil ich die jüngst
restaurierten Tierplastiken des Gebäudes betrachte, mustert Ruth vor
allem die so oft elegant gekleideten polnischen Damen, die ihre
Kostüme offensichtlich noch schneidern lassen. Auf der anderen
Marktseite finden wir dann doch noch ein Restaurant, ein
italienisches mit Knoblauchzubereitung allerdings. – In der Nähe
unseres Hotel wird soeben eine lange Stellwand voller Werbeplakate
von der Konkurrenz einfach dadurch außer Gefecht gesetzt, dass eine
etwas höhere Leichtmetallwand mit ihren eigenen Plakaten direkt
davor aufbaut wird.