Bildquellen: Google Maps (unter „Malczyce") www.youtube.com/watch?v=Lx6jrLtIN7c
Do.
22.5.97) Wir verlassen Breslau in westlicher Richtung gen Maltsch
(Malczyce)
an der Oder, wo Ruths Vater aufwuchs. Wir halten schon in der 10 km
davorliegenden Stadt Neumarkt, die von den Maltschern für größere
Einkäufe aufgesucht wurde. Ich sehe mich gewohnheitsmäßig auch in
der öffentlichen Bücherei um, wo mir die Bibliothekarin noch
eine Broschüre über Neumarkt mit auf den Weg gibt.
In
Maltsch schauen wir uns zunächst den von Steinkohlehalden umlagerten
Bahnhof an. Aus der danebenliegenden Schule treten soeben
Drittklässler in Doppelreihen heraus und werden von der
Lehrerin vor Betreten der leeren Dorfstraße zum geduldigen Warten
ermahnt. Auf dem Nachbarhaus der gynäkologischen Klinik
hat ein grauer Storch sein Nest gebaut. Wir gehen die lange
Hauptstraße hinunter; irgendwo auf halbem Wege lag die Meierei
der Großeltern, doch sind wir uns bei den in Frage kommenden
Gebäuden ebenso wenig sicher wie bei der ehemaligen Zuckerfabrik.
Anders als bei dem riesigen Schornstein der 1912 in Maltsch
gegründeten Cellulose-
und Papierfabrik,
der im Westen immer noch in den Himmel ragt.
In
dem einzigen größeren Dorfladen kaufen wir ein; er führt offenbar
nicht alle nötigen Dinge des Alltags, denn in seiner Nähe befinden
sich noch einige Büdchen und Stände mit Waschpulver, Geschirr
und Süßigkeiten. Auf dem Friedhof suchen wir eine Stunde lang
vergeblich nach dem Grab von Ruths Großmutter Anna Meier, die 1946
verhungert war; schließlich finden wir heraus, dass die ältesten
Gräber von 1948 datieren und dass am Rande des Friedhofs schon
größere eingeebnete Flächen liegen. Ruth versucht auf dem Friedhof
mit einer alten Polin ins Gespräch zu kommen, die gleich nach dem
Krieg im Zuge der „Polnischen Westverschiebung“ nach Maltsch
übersiedeln musste; doch geht die Verständigung kaum über Gesten
beiderseitiger Betrübnis und des Trostes hinaus.Wir gehen noch
bis ans nördliche Ende dieser „Straße des 1. Mai“, wo beim
Hafengelände an der Oder irgendwo der Garten der Meierei lag.
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