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Proust. Doppelgänger
Selbsterweiterungen
II  Reiseberichte
III Zu Wim Wenders
IV Film und Kindheit
V Mitschüler/Schulen
VI GERMANISTICA

 

MICHEL DE MONTAIGNE
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Unbehagens und Leidens. „So sind wir niemals bei uns, wir sind stets außerhalb. Furcht, Verlangen und Hoffnung schleudern uns der Zukunft entgegen und berauben uns des Gefühls und der Wertschätzung dessen, was ist”.12


Das Ich selbst, der uns nächste und verlässlichste Erkenntnisgegenstand, bietet der Introspektion zwar keinen ab­so­lu­ten Halt und zeigt sich, kaum anders als die in ihrer Polyphonie faszinierende Kultur- und Geistesgeschichte, als ein ständig und im Letzten unbegreiflich sich Veränderndes.13 Keineswegs aber läuft dieser introspektive Relati­vis­mus auf einen Solipsismus hinaus, im Gegenteil, der in der Selbsterforschung Geübte erweist sich als fähig, die anderen weit besser zu verstehen und, zu deren Überraschung, nicht selten besser als sie sich selber.14 Überhaupt hat der Rückgang auf das Individuelle exemplarischen Charakter, lautet doch Montaignes über ein Le­ben hin gewonnene Überzeugung: „Jeder Mensch trägt die ganze Gestalt des Menschseins in sich.”15

   Die skeptische Offenheit seines Menschenbildes führt auch nicht etwa zur Resignation, sondern verpflichte zur Toleranz. Wir sollten uns schon „in Anbetracht unserer Fehlbarkeit bei unsren Meinungsumschwüngen be­scheid­ner und zurückhaltender aufführn”.16 Ebenso dienen die so zahllosen Anekdoten, Ansichten und Lehrmei­nun­gen, die er aus der Geschichte anführt, nicht der Sicherung eines fest definierbaren anthropologischen Wesenskerns, son­dern primär dem relativierenden Nachweis von Differenzen und Spielarten auf allen erdenklichen Gebieten, von denen eine jede mit zur Konstitution des Menschen gehöre. Entsprechend habe man bei der – gewaltfreien – Er­zie­hung des Kindes vor allem darauf Wert zu legen, dass dessen zarte Unbefangenheit und Offenheit der Ent­wick­lung durch Förderung seiner Selbständigkeit und Urteilskraft gestärkt wird.17

   Gegen die naheliegende und verführerische Gefahr, sich in eine alles relativierende Beliebigkeit oder in Gleich­gül­tig­keit zu verlieren, beruft sich Montaigne auf ethische Grundsätze wie den obersten der Gerechtigkeit, deren Ga­rant und Hüter wiederum keine von außen vorgegebene Instanz wie die Religion sein könne, sondern allein ein Aller­per­sön­lich­stes, das Gewissen. Es ist für ihn keine irrationale Instanz, sondern die intimste Form des Wissens, des   

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12  I 3, S24    13 II 12, S. 354-359    14 III 13, S. 457

15 III 2, S. 34 („Chaque homme porte en lui la forme entière de l'humaine condition.”) Jean-Yves Pouilloux be­merkt dazu in seinem Aufsatz La forme maîtresse, dass man aus dieser Formulierung beinahe die Erklärung der Menschenrechte ableiten könnte, zwei Jahrhunderte vor ihrer Deklaration. In: Montaigne et la question de l'homme. Coordonnée par Marie-Luce Demonet (Paris 1999), S. 33-45 (Zitat S. 33)   16 II 12, S. 356     17 I 12, S. 231-236

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