Vor
der Weiterfahrt nach Ragusa gehen wir noch vom Hotel aus hinüber zu
den Resten des dorischen Apollon-
und Artemistempels.
Es ist eine von Katzen durchlaufene unscheinbare
Stätte, zumal sich außer den Fundamenten
kaum mehr als Säulenstümpfe, ein Säulenpaar mit Kapitellen und ein
Teil der Cellawand erhalten haben. Er gilt jedoch als der
älteste, um 575 v. Chr. errichtete griechische Tempel
Siziliens. Wie der 100 Jahre jüngere Athena-Tempel
ist auch er ein Peripteros (Ringhallentempel) und von beinahe
gleichen Dimensionen, hat aber eine zusätzliche
Frontsäulenreihe. Wie jener Tempel wurde er
ebenfalls zu einer byzantinischen Kirche,
arabischen Moschee und zuletzt normannischen
Kirche umgebaut. 1778 musste der Archäologe und spätere
Generaldirektor der französischen Museen
D.-V.
Denon
zur Besichtigung der Ruinen in ein Privathaus eintreten,
wo zwischen Bett und Wand zwei Kapitelle
hervorragten. Denon bezeichnete den Tempel wie schon
sein früher Besucher Cicero als
Artemistempel, während man gegenwärtig meist
von einem Apollontempel spricht. Im übrigen kam es
gelegentlich vor, dass wie anderen Gottheiten auch diesen
Zwillingen Apollon und Artemis ein gemeinsamer Tempel oder
Doppeltempel (mit zwei Cellae) gewidmet war.
*
Nach
einer guten halben Stunde Fahrt erreichen wir Noto.
Die Stadt hat eine Serie von Erdbeben durchstehen müssen; nach dem
verheerenden Beben von 1693 wurde Noto Antica aufgegeben und legten
Meisterarchitekten des Spätbarock
die neue, 16 Kilometer entfernte Stadt Noto in strenger Symmetrie an.
Ein letztes mittelschweres Erdbeben richtete 1990 wiederum
beträchtliche Schäden an.
Immer
noch zugerüstet ist bei unserem Besuch die Kathedrale
San Nicolò,
deren Kuppel und Seitendach 1996 einstürzten, nachdem man einige
ihrer 1990 beschädigten Pfeiler unzulänglich verstärkt hatte. Auch
diese 1770 fertiggestellte Kirche musste
zweimal nach Erdbeben neu aufgebaut werden; die so tief gestaffelte
wie ausladende Freitreppe erhielt sie erst ein Jahr nach ihrer
Fertigstellung. – P.S.: 2007 konnte die Kathedrale wieder eingeweiht
werden.
Über
den Corso Vittorio Emanuele gehen wir weiter zu der schon
restaurierten Kirche San
Domenico.
In ihrem Eingangsbereich ist noch die Stelle markiert, wo
herabgestürzte Bauteile 1990 ein großes
Bodenfresko beschädigt hatten. Das
Hauptportal bei der konkav gewölbten Fassade wird von dorischen
Säulen flankiert, über denen sich im spätbarocken Geschmack
ionische Ziersäulen erheben.
Wegen
der miserablen Drainage senkte man gegen Ende des 19. Jh. den
schmalen Corso und andere Straßen drastisch ab. Für die Zugänge zu
vielen Gebäuden mussten danach Treppenrampen erbaut
werden, auch hängt etwa ein
Brunnenbecken an
der Außenwand der Basilica
SS. Salvatore (zum
Corso hin) seitdem für Mensch und Tier in unerreichbarer Höhe.
Der
Sandstein der meisten Gebäude hier hat eine ausgeprägt ockerfarbene
Nuance und soll bei Sonnenaufgang und -untergang beinahe honiggelb
erstrahlen; viele Photographen allerdings scheinen hier
effekthascherisch nachzuhelfen. –
Wenn eine Stadt mich mit dem barocken Architekturstil insbesondere
für Kirchen aussöhnen könnte, so ging mir durch den Kopf, dann Noto. Am
stärksten beeindrucken konnte mich bei unserem
freilich nur zweistündigen Aufenthalt die
stilistisch relativ neutrale und meist wohl der Not
entsprungene Außentreppen-Architektur
etlicher Gebäude.
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