Wir
gehen noch ein Stück weit die Via Vittorio Emanuele
hinunter, die nordöstlich verlaufende Achse der
beiden Hauptstraßen Palermos, die bei dem Platz
,Quattro Canti’ im rechten Winkel auf die Via Maqueda als
zweite Achse trifft. Gleich dahinter liegt die ,Piazza
Pretoria’ mit
ihrer monumentalen Brunnenanlage. Goethe missfiel der Einfall
sehr, unterhalb der antiken Gottheiten und
anderer mythologischer Skulpturen noch einen Kreis von
wasserspeienden Tierskulpturen anzubringen. Sein Urteil vom 5. April
1787 können wir aber vor Ort nicht überprüfen, da die
Mitte des 16. Jh. erschaffene Anlage wegen Renovierungsarbeiten
weithin verhängt ist (oben ein jüngeres Photo der Fontana
Pretoria).
So
wenden wir uns zurück zur Kreuzung der ,Piazza
Quattro Canti’,
deren vier Ecken (,Canti’) in eigenwilliger Architektur die
Wohnviertel der historischen Altstadt Palermos voneinander abgrenzen.
Und zwar sind es vier Anfang des 17. Jh. erbaute Barockpaläste,
deren konkav geschwungene Fassaden einheitlich gegliedert sind: Der
Brunnen im Sockelbereich repräsentiert einen der vier Flüsse der
Stadt und die Frauenskulptur darüber eine der
Jahreszeiten; den Mittelbereich beherrscht die Statue eines der
damaligen spanischen Könige Siziliens, worüber sich jeweils eine
der vier Stadtpatroninnen erhebt.
P.S.
2017:
Wim Wenders hat in seinem Film ,Palermo
Shooting’ (2008)
für wenige Sekunden eine weitere allegorische Figur hinzugefügt,
nämlich den von Dennis Hopper gespielten Tod. Wie der von ihm
gejagte Protagonist Finn Gilbert wähnt, steht sein Verfolger
oben am Fenster des Palazzo Rudinì neben der Schutzheiligen Ninfa
und will offenbar einen Pfeil auf ihn abschießen (er bohrt sich
gleich danach in den Marmorkopf einer Brunnenfigur hinter
ihm). Zum ersten Mal auf Palermo aufmerksam gemacht wurde Finn auf
den Düsseldorfer Rheinwiesen durch einen fröhlichen älteren Herrn,
der während seiner Nebentätigkeit als Schäfer oder
,Hüter auf Zeit’ zugleich Börsengeschäfte abwickelt. Beim
Anblick eines vorbeifahrenden Frachtschiffes erklärt er Finn, dass
,Palermo’ aus dem Griechischen komme und ,Allhafen’ bedeute.
Es ist dies ein andermal eine
der verkappten Wendersschen Hermesfiguren
wie einst Bruno Winter (Rüdiger Vogler) in ‚Im
Lauf der Zeit’,
Tom Ripley (Dennis Hopper) in ‚Der
amerikanische Freund’
oder
Tom Tom (Jeremy Davies) in ‚Das
Million Dollar Hotel’ (mit
Milla Jovovich als Hermes' Freundin Aphrodite). Sein Outfit mit
breitkrempigem Hut, „Fliege” und Stock scheint zugleich eine
Hommage an die Hermesgestalt GAFF in Ridley Scotts
‚Blade
Runner’ zu
sein.
Der griechische
Patron der Herden und Händler tritt jetzt speziell als der zu den
Hadesgewässern hinleitende Seelengeleiter (Psychopompos) auf. Wie einst Bruno
Winter am Elbufer den lebensmüden ,Kamikaze’ Robert Lander mit seinem Spezialtransporter
empfing und Tom Ripley dem todkranken Jonathan Zimmermann zu seinem Sterbeort
an der Nordsee vorausfuhr, so führt der Seelenhirte nun vom Rheinufer her den
ausgebrannten Finn dem Tod in der ,Allhafen’-Stadt Palermo zu. Behutsam
leitet er das Gespräch vom Verlangsamen der Zeit und einem konsequenten
Durchleben der Gegenwart auf den Verlust eines Menschen über. Ja, in seiner
klassischen Rolle als Überbringer der Träume hat er Finn, der auf dem Lieblingsbaum
seiner Kindheit eingeschlafen war, von Palermos Katakomben und seiner dorthin
gebrachten Mutter träumen lassen – dies also noch vor dem Anblick jenes Rheinschiffes.
Damals,
an der Piazza di Quattro Canti, konnten wir nicht ahnen, dass uns
Hermes wenig später im Archäologischen Museum von Palermo als
Patron der Herden und Psychopompos entgegentreten würde.
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