Quellen: https://visitworldheritage.com/en/eu/the-archaeological-site-of-tiryns/2413784a-f003-4bf6-a528-ab8b52c45d49 Grundriss nach Gottwein: www.gottwein.de/Hell2000/pal_tiryns1.php
Wir fahren nun weiter auf den Argolischen Golf zu und erreichen nach einer knappen halben Stunde die Ruinen der mykenischen Burg Tíryns. Nach dem Besuch der Hochburg von Mykéne kann der erste Anblick enttäuschen, wurde doch diese Festung auf einem relativ niedrigen Felsrücken aus Kalkstein errichtet. Die unterste Steinlage der Zyklopenmauer liegt nur wenige Meter über dem heutigen Straßenniveau, sodass mir diese Burg, die seinerzeit in Meeresnähe lag, bei der Anfahrt wie ein gestrandeter Grauwal vorkommen will. Auch beim Nähertreten imponiert ihre schiere Kolossalität. Ihre mörtellos gesetzten Befestigungsmauern sind bis zu 8 Meter stark und die Einzelblöcke bis zu drei Meter lang und einen Meter dick. Sie wurden meist am Fuße des ungefähr einen Kilometer nördlich der Burg liegenden Berges Profiti Ilias gebrochen, teilweise auch – wie auf dem Foto oben zu erkennen – aus dem Felssockel an der Westseite der Befestigung selber.
Der Zugang zur Oberburg war mäandergleich verwinkelt und mehrfach gesichert: Der Weg führte auf eine schmale und noch erhaltene Rampe am der östlichen Außenseite der Burgmauer entlang, wo jeder Angreifer seine normalerweise nicht durch den Schild gedeckte rechte Seite den Verteidigern darbieten musste. Am Ende der Rampe, wo kein Rammbock eingesetzt werden konnte, hatte man zunächst nach rechts hin auf ein verschließbares Eingangstor einzubiegen und sogleich nach links durch einen sich verengenden Zwinger (Nr. 5) auf das mächtige, dem Löwentor von Mykéne gleichende Burgtor zuzugehen (Nr. 6). Ein Wegstück weiter musste man eine kleinere zweitorige Anlage passieren, kam in einen Hof und nach einer erneuten Wendung nach rechts hin durch das Große Propylon (Nr. 10) in den Palasthof; schließlich, nach einer dritten Wendung nach rechts hin, gelangte man durch ein kleineres Propylon in den eigentlichen Palastbereich mit dem Megaron.
Passend hierzu der Ratschlag des trojanischen Sehers und Helden Polydamas, den die Verfasser einer Schrift über bronzezeitliche Festungstore zitieren; er erklärt nämlich seinen Kampfgefährten, die im Felde bang den Patroklos-Rächer Achilleus erwarten: ... türmende Mauern
Schützen die Stadt ringsum, und hohe befestigte Tore ,
Wohlverwahrt mit großen und dicht einfugenden Flügeln.
Frühe sodann vor Morgen, mit ehernen Waffen gerüstet,
Stehen wir rings auf der Mauer; und weh ihm, wo er begehret,
Angestürmt von den Schiffen mit uns um die Mauer zu kämpfen!
(Ilias XVIII, v. 275ff.; nach J. H. Voß)
Der noch verbliebene Palastbezirk gehört wie der Großteil der anderen Ruinen zu der um 1250 v. Chr. erbauten dritten Burg von Tíryns. In der Anlage und in vielen architektonischen Details gleicht die Festung von Tíryns so sehr der von Mykéne, dass man sich fragte, ob nicht beide Burgen eine Zeitlang im Besitz ein und derselben Herrschaft waren. – Hatten sich in Mykéne weit über hundert Tagesbesucher eingefunden, so sehen wir hier kaum eine Handvoll.
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