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Oben: Elfenbeinerne Votivgabe mit der Artemis Orthía (8.-7. Jh. v. Chr.; Archäol. Nationalmuseum Athen)
Daneben zwei Stelen mit (einst) eingelassenen Sicheln für Sieger wie die des Auspeitschungsrituals
am Altar der Artemis (Archäol. Museum Sparta)
 
 Links: Das Heiligtum der Artemis Orthía in Sparta. Im Hintergrund links die Reste des Tempels, im Vordergrund rechts die des Altars und an den Seiten Reste des römischen Theaters aus dem 3. Jh. n. Chr.
Darunter eine Rekonstruktionszeichnung des Heiligtums und des römischen Amphitheaters

 
   Quellen: www.civilization.org.uk/wp-content/uploads/2011/10/Orthia-2-4.1500-150.jpg   www.pausanias-footsteps.nl/english/sparta-orthia001.jpg
http://z.about.com/d/arthistory/1/0/n/R/w0607gal_08.jpg   https://iiif.deutsche-digitale-bibliothek.de/image/2/baa3b537-fc9e-4d22-81c0-ddea9076bee9/full/!440,330/0/default.jpg

 

Peloponnes im 10. oder 9. Jh. v. Chr.; es hatte damals nur einen bescheidenen Erdaltar, erhielt im 7. Jh. einen hölzernen Tempel und zu Be­ginn des 6. Jh. den Stein­tem­pel, von dem sich nur noch Fundamente und Mauerteile der südlichen Ecke erhalten haben. Von dem gut acht Jahrhunderte später erbauten rö­mi­schen Am­phi­thea­ter gibt es eben­falls nur noch Mauerreste. Die Ausgrabungen führt seit 1906 die British School at Athens durch.

   Den Beiname „Orthía” deutet Pausanías in seiner ,Beschreibung Griechenlands’ als „die Aufrechte”, vermerkt aber auch die andere Deutung, wonach das geschnitzte Kult­bild der Göttin der Jagd in einem Wei­den­ge­strüpp „auf­recht stehend” gefunden wurde (III 16, 11). Die erste Bedeutungsangabe ist um so plausibler, als die Griechen einst den Kult ei­ner vor­der­asia­ti­schen Göttin namens Orthia übernommen hatten und diese im Lauf der Zeit mehr oder minder stark mit Artemis identifizierten.

 

Nach Pau­sa­nías war es Orest, der spä­tere Herrscher von Mykene und König von Sparta, der mithilfe seiner nach Tauris entrückten Schwester und dortigen Artemis-Priesterin Iphi­ge­nie das Kult­bild (das Xoánon) nach Sparta brachte und sich so als der von den Erinnyen verfolgte Muttermörder entsühnen konnte. Mit der Vorgeschichte wurde ich schon im 2. Schuljahr dank der Tchi­bo-Hef­te mit Eduard Wildhagens Nacherzählungen der ,Ilias und ,Odyssee’ bekannt: Wie Agamemnon frevelhaft die der Artemis heilige Hirsch­kuh tö­tet und die ent­zürn­te Göt­tin in Au­lis die gen Tro­ja auf­bre­chen­de griechische Flotte durch eine Windstille festhält; dass Agamemnon am Altar der Ar­te­mis seine Tochter Iphigenie op­fern soll, diese aber von der sich er­bar­men­den Göt­tin nach Tau­ris ans Schwarze Meer entrückt wird. Mit ihrem Bruder Orest gar wurde ich als zehn- oder elf­jäh­ri­ger Schüler per­sön­lich ver­bun­den, als mein La­tein­leh­rer als an­ti­ke Ent­spre­chung mei­nes deut­schen Vornamens „Orest(us)” angab. Obgleich ich um die tragischen Hin­ter­grün­de wuss­te, gefiel mir die­se scherz­haf­te Iden­ti­fi­zie­rung per Na­mens­an­klang sehr.

   Als der Reiseschriftsteller Pau­sa­nías Mitte des 2. Jh. n. Chr. Sparta besichtigte, existierte das römische Amphitheater beim Artemis-Tempel noch nicht. Er schildert aber ein­drück­lich die Fla­gel­la­ti­on der Jugendlichen, die zur Errichtung dieses kleinen Theaters führte. Ein Orakelspruch, so hebt er an, verlangte ursprünglich die Befleckung des Altars mit mensch­li­chem Blut:

Als geopfert wurde, wen das Los traf, ersetzte Lykurgos das durch die Geißelung der Epheben, und so wird der Altar ebenfalls mit Menschenblut bespritzt. Die Priesterin steht mit dem Holzbild daneben. Das ist sonst leicht durch seine Kleinheit, wenn aber jemand aus Rücksicht auf Schönheit oder Rang eines Epheben vorsichtig schlägt, dann wird das Bild für die Frau zu schwer und nicht mehr leicht tragbar. Sie beschuldigt die Geißelnden und sagt, wie werde ihretwegen bedrückt. So ist es dem Kultbild von den Op­fern in Tauris her ge­blie­ben, sich immer noch an Menschenblut zu freuen.” (III 16, 10-11; a.a.O., Bd. 1, S. 166f.)

Nach den Aussagen von Xenophon, Plato und anderen war das Ritual lange Zeit ein Kampfspiel, in dem die eine Hälfte der Epheben versuchte, möglichst viele der auf dem Altar der Ar­te­mis ausgelegten Käsestücke zu rauben, während die andere Hälfte es mit Peitschenhieben verteidigte. Erst unter römischer Herrschaft mutierte es zu dem von Pausanías be­schrie­be­nen sa­di­sti­schen Ritual der Diamastígosis, bei der alle Epheben ohne die Möglichkeiten taktischen Verhaltens ausgepeitscht wurden; mit dem Bau des Amphitheaters wur­de die Mann­bar­keits­prü­fung vollends zur Volks­un­ter­hal­tung pervertiert, bei der die oft von weither Angereisten sich an dem blutigen Spektakel ergötzen konn­ten. Bei dieser Zu­schau­er­ku­lis­se wur­den im­mer wie­der Jugendliche zu Tode gepeitscht. Auch sie erhielten die Siegesstele für das Ertragen extremer Schmerzen. Diese Stele war mit einer Bron­ze­- oder Ei­sen­si­chel ver­ziert, die auf Ar­te­mis' Rol­le als Göt­tin der Fruchtbarkeit und Beschützerin der Heranwachsenden verwies – und auch auf die Wortbedeutung von „Sparta” („Saat­bo­den”).

 

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