Es öffnet sich ein weiter Hof mit einem langen breiten und von Myrtenhecken gesäumten Wasserbecken, an dessen Schmalseiten zwei hohe Palastgebäude einander gegenüberliegen. Welcher Weg führt hier wohin? Nun, wir Touristen folgen nach gehörigem Bewundern dieses Myrtenhofs der empfohlenen Route und gehen auf das wuchtige Hauptgebäude zu, den zinnenbesetzten Comares-Turm. „Comares” leitet sich wahrscheinlich vom arabischen Wort „camariyya” bzw. dem spanischen Lehnwort „comaría” her und bezeichnet die farbigen Glasfenster, die den hohen Thronsaal im Turminnern erhellen. Fertiggestellt wurde die Palastanlage in der 2. Hälfte des 14. Jh. unter Muhammad V., über ein halbes Jahrhundert später als der soeben von uns besuchte kleine Mexuar-Palast.
Dessen farbig gemusterter Azulejo-Wandsockel wurde für die Gebäude des Myrtenhofs weiter geführt. Und beide Palastwände, denen die Architekten Arkadengänge mit sieben Halbkreisbögen vorsetzten, schmückt erneut ein epigraphisches Gedicht von Ibn Zamrak. Sie rühmen jetzt die „Perlenkette” der siegreichen Feldzüge Muhammads V. und namentlich die Wiedereinnahme von Algeciras (1369), wo im Jahre 711 die Berber und Araber in Spanien Fuß gefasst hatten.
An den Längsseiten des Myrtenhofs lagen die Wohnungen der vier Ehefrauen des Herrschers, während Nebenfrauen und Dienerschar in dem hohen Südpalast untergebracht waren. Etliche dieser Räume wurden für den Renaissancepalast von Kaiser Karl V. abgerissen.
Vom nördlichen Arkadengang des Myrtenhofs her treten wir in den sogenannten „Barkesaal” ein, die Vorhalle, in der die Gesandten und andere Audienzsuchende zu warten hatten. Der Name geht auf das arabische Wort „barakha” („Segen”) zurück, das im Spanischen verballhornt und gemäß der Deckengestaltung umgedeutet wurde zu „barca” („Barke”/„Schiff”). Das willkommenheißende arabische Wort findet sich als oft wiederholte Inschrift an den mit Gipsstuckaturen überzogenen Wänden und Nischen. Die Bögen der Decke hat man mit stalaktitförmigen Mocárabes verziert und die Artesonado-Holzdecke in diesem „Saal des Segens” mit Sternenrädern, die in großartiger Steigerung im nachfolgenden Thronsaal weiter ausgeführt wurden.
Durch einen reich verzierten breiten Doppelbogen gelangt man in diesen mit 18 Metern eminent hohen Thronsaal, der auch „Botschaftersaal” („Sala de los Embajadores”) heißt. Die Wandflächen über seinen Azulejosockeln sind über und über mit abstrakt-geometrischen Pflanzenmustern (Atauriques) und Schriftbändern dekoriert, die vornehmlich den Allah preisenden Wahlspruch der Nasriden enthalten oder den Herrscher als Gottgesandten rühmen. In Bann zieht den Besucher sogleich die funkelnde, aus tausenden von vergoldeten Zedernholzplättchen gefügte Intarsiendecke, die mit ihren acht- und sechzehnstrahligen Sternen die Himmelsstufen des islamischen Paradieses darstellt. Eine in ihrem Zentrum darüberliegende kleine Kuppel symbolisiert Allahs Thron.
In dieser den Nasridenherrscher legitimierenden Sternenmetaphorik gipfelt schon das erwähnte Lobgedicht von Ibn Zamrak (S. 74 der Übersetzung von Astrid Greußing):
„... oh Sohn des Adels, der Milde, der Kühnheit und der Freigiebigkeit,/ dessen Abstammung den Horizont der Sterne übertrifft ...//
Der Thron stand an der Stirnseite des Saals in der größeren und prächtigeren Mittelnische; wegen der dahinterliegenden Fenster sollen die Gesandten mitunter das Gesicht des Emirs nicht recht erkannt haben. – Im Comares-Turm befanden sich auch Privaträume des Herrschers, zu denen ein kleiner Gebetsraum gehörte; im Sommer bewohnte er das untere Stockwerk und im Winter einen der höher gelegenen Räume.