Mittw. 22.7.87) Wir verlassen Berlin in Richtung des Stechlinsees, der in meiner Dissertation über die Romane Theodor Fontanes eine tiefenhermeneutisch bedeutende Rolle spielt. Nach einer Fahrtstunde machen wir in Neuruppin Halt; ein andermal finden wir kein Hinweisschild auf die von Fontanes Vater geführte „Löwenapotheke“. Als ich einen Passanten danach frage, schüttelt er nur stumm den Kopf (anscheinend ein russischer Soldat in Zivil). Bald finden wir selber an der Karl-Marx-Straße die Apotheke und ebendort das einige hundert Meter entfernte Fontanedenkmal von Max Wiese. Zuletzt suchen wir das großzügig angelegte Heimatmuseum mit Gedenkräumen für Fontane und Schinkel auf. Mich entzückt besonders die Sammlung der bei Gustav Kühn erschienenen ‚Neuruppiner Bilderbogen‘, die schon Fontane gelobt hatte. Die seit Anfang der 1820er Jahre mit Hilfe von Schablonen – oft von Kindern – kolorierten Blätter widmeten sich allen möglichen Themen, darunter aktuellen Ereignissen, die schon nach Tagen illustriert vorlagen.
Wir kommen bald zu dem jenseits des Ruppiner Sees gelegenen Dorf Wuthenow, das in Fontanes Erzählung ‚Schach von Wuthenow‘ zum Rückzugsort des geschlagenen Schach wird; statt des damaligen Dorfes finden wir aber nur noch ein Gehöft vor. – Eine weitere Stunde lang durchfahren wir die märkischen Wälder in Richtung des Großen Stechlin, vorbei an Wegweisern für Ortschaften wie Lindow, Rheinsberg oder Globsow, die erst Fontane durch seine ‚Wanderungen durch die Mark Brandenburg‘ bekannter gemacht hat.
An einem Südausläufer des Stechlinsees herrscht unerwartet lebhafter Badebetrieb, auch hat hier die FDJ ein Lager aufgeschlagen. Leider ist keines der Ruderboote mehr zu haben, so dass wir uns mit einem Hineinplantschen in den Stechlin begnügen müssen.
Auf dem langen Weg zurück nach Tübingen müssen wir in Potsdam wieder einmal zeitraubend nach einer Inter-Tankstelle in der Nähe des Hauptbahnhofs suchen – nicht einmal eine Ausschilderung des Hauptbahnhofs ist zu sehen!
P.S.: Wie in Ungarn haben wir uns auch in der DDR ungewöhnlich häufig verfahren. Schon in Ungarn stieg in uns der Verdacht auf, dass militärische Beweggründe dahinter stecken. Und tatsächlich werden 1990 Kartographen der DDR eingestehen, seit längerem zum Zwecke militärischer Desorientierung die Karten systematisch gefälscht zu haben.
Beim Tanken sucht ein andermal ein zweideutiges Subjekt, das sich als Lehrer ausgibt, über meine Tankgewohnheiten inklusive Bezahlweise mit mir ins Gespräch zu kommen. Dann endlich gelangen wir auf die gepflegte nördliche Transit-Autobahn in Richtung Helmstedt; in Marienborn geht diesmal auch der Rücktausch im DM zügig vonstatten, dafür muss ich mein Gesicht zweimal mit dem Passfoto abgleichen lassen und wird auch die Rückbank unseres Citroën CX umgeklappt.
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