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Daß
Plessner mitten im Zitat abbricht, soll gewiß nicht den
Verlust des hohen menschlichen Selbstbewußtseins
bezeichnen, vielmehr diese gebrochene Existenz ohne
absoluten archimedischen Punkt, die gerade
deshalb, in utopischer geistiger Unruhe, die
Erde in so unvorstellbarem Maße bewegen kann.
Sein Leben hat der Mensch ohne metaphysische
Transzendenz zu führen, transzendiert freilich
sich und seine kulturellen Leistungen in „einer
beständigen Annullierung der eigenen
Thesis”.58
Damit
hat sich Plessner auch gegen die zeitgleichen metaphysischen
Spekulationen Schelers in Die
Stellung des Menschen im Kosmos
ausgesprochen. Explizit auf diesen Titel kommt er in
einem 1939 erschienenen Aufsatz zurück und
wirft Scheler darin vor, in der geistes- und
kulturgeschichtlichen Situation
allgemeiner Verunsicherung „auf halbem
Wege stehen” geblieben zu sein. „Er hätte
sich sagen müssen, daß in solcher Lage die Frage:
Was ist der Mensch? nicht im Hinblick auf einen
Kosmos, d.h. eine als feststehend angenommene
Ordnung des Seienden und der Seinsregionen, eine
Stufenordnung antik-mittelalterlichen
Gepräges überdies, gestellt werden
darf.”59
Plessners
postmetaphysische Position wird inzwischen von den meisten
Denkern geteilt. In geistiger Herkunft und
Denkstil so divergierende Philosophen und
Geisteswissenschaftler wie Walter Schulz, Odo
Marquard oder auch Peter Sloterdijk und Jürgen Habermas
haben sich – trotz unterschiedlicher Einschätzung
der kulturellen Relevanz von Religiosität – ohne Aufhebens,
ohne die noch lange nach Feuerbach oder Nietzsche
obligaten polemischen Ausfälle gegen die
Religion und ihre Funktionäre von der
religiös inspirierten metaphysischen
Tradition gelöst und
sich dabei nicht
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58
a.a.O., S. 342
59
Helmuth Plessner, Deutsches
Philosophieren in der Epoche der Weltkriege (1939).
Wiederabdruck in: Helmut
Plessner. Gesammelte Schriften IX/Schriften zur
Philosophie.
Hg. v. Günter Dux u.a. (Darmstadt 2003) , S. 263-299 (Zitat S.
285f.)