SCHOCK BEI DER RÜCKKEHR IN DIE HERKUNFT ---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
Was
während einer Erstbegegnung wie der von 1976 aus den verschiedensten
Zeit- und Persönlichkeitsschichten
aufeinandertraf, arbeitet dann auch in der Folge weiter in uns.
Regelrechte Machtkämpfe scheinen stattzufinden,
in denen all die vielen unerwarteten kleinen Einzelheiten, die man
bei jener ersten Wiederkehr vor Augen hatte, meist
schon nach Wochen oder Monaten wieder aus dem Gedächtnis geworfen
werden. Davon ausgenommen sind nur ehemalige
Lebenszentren, die bei der Wiederkehr unvermutet verschwunden
waren und als Lücken schmerzlich empfunden werden: 1976
war es die schräg gegenüber dem Elternhaus gelegene
große Hotelwirtschaft auf der Ecke beim Bahnhof (wo mein zum
Besuch angereister Großvater einmal übernachtete
und ich seinerzeit meinem Bruder das Billardspiel beibrachte); und
auch meine ,Spielhölle’, den Treffpunkt erschöpfter
oder schwänzender Gymnasiasten, fand ich 1976, nach gerade einem
Jahrzehnt erst, nicht mehr vor. Eine solche Lücke trifft einen
wie ein Hieb. Gleich danach freilich zeigt sich, daß dieses
brutal Hinweggehauene nicht einfach
verschwunden ist, sondern sich als räumlich-emotionale
Phantomempfindung weiterhin geltend
macht. Eine Empfindung, die den Orientierungssinn des Zurückkommenden
noch derart gebieterisch beansprucht,
daß man wahrlich konfus werden und einem mit dem verlorenen
Mittelpunkt auch die weitere Umgebung
entgleiten kann. Ich jedenfalls hielt es bei jener ersten Rückkehr
1976 nicht lange mehr dort aus und mußte mich davonstehlen.
Solch
schwere Zerstörungen also lassen sich nicht mehr aus dem Gedächtnis
werfen. Sonst aber, auch gegenüber größeren
Veränderungen, wie ich sie damals bei den Werkanlagen einer
Chemiefabrik registriert hatte, setzt sich nach kurzer Zeit
wieder das altgewohnte Erinnerungsbild durch. Zu erklären wäre dies
nicht mehr allein durch die gewöhnliche träge Beharrlichkeit
unseres Gedächtnisses. Vielmehr scheint da ein starkes
Bedürfnis zu existieren, unsere Vergangenheit mit ihren
Landschaften und Wohnbereichen möglichst unberührt zu
halten, selbst da, wo man sich als Kind eher unbehaglich oder
bedroht fühlte. Was mag nur dahinterstecken? Ist
es der eifersüchtige Wunsch des Heimkehrenden
nach Treue und Gegenliebe, den er sogar der Landschaft
entgegenbringt und der sich jeder Erinnerungsrevision
sperrt? Oder ist es umgekehrt ein Beharrungs- oder gar
Unsterblichkeitsverlangen jenes
älteren Selbst(-gefühls), das ja an der Fixierung der zähen
Erinnerungsbilder am meisten beteiligt
war und immer noch den längeren Atem hat?
Und
noch eines fällt in diesem Zusammenhang auf. Es ist dies das auch
von anderen öfter beobachtete Phänomen, daß man sich bei
der Rückkehr immer wieder dabei ertappt, die Passanten in der einst
vertrauten Umgebung unwillkürlich und durchweg falsch zu
identifizieren, indem man voreilig altbekannte Züge in ihre
Gesichter hineinliest. Steht hinter diesem
Identifizierungszwang lediglich die an sich harmlose, nur
übermächtige und allzu großzügig identifizierende
Freude des „Wiedersehens”, die unserem gegenwärtigen Ich
entspringt? Oder drängt hier vielmehr etwas aus unserer Tiefe
empor, das, für uns überraschend, aus seinem
Erinnerungsreservoir heraus alte
Gesichtszüge bereitstellt und uns damit auch für kurz täuschen
kann, ja, das sich vielleicht dadurch gegen das eigene
Vergessenwerden wehrt? Wie auch immer, die inzwischen stattgefundenen
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