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Blick vom Haus auf die Rheinwiesen (Photo 1993)


ZWEITER LEBENSRAUM: VON PHANTASIEBILDERN ÜBERWUCHERT

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punkt diese Ver­knüpfung stattfand und seit wann sie zum Er­innerungsrepertoire gehört, ist nur noch selten her­aus­zu­be­kom­men. Von dem ,Sterntaler’-Mädchen be­trach­te­te ich einst wirklich an dieser Stelle eine farbige (blau-gol­de­ne?) Ab­bildung, die ei­ner Ha­fer­flo­cken-Pa­ckung („Kölln­flo­cken”?) bei­gelegt war. Für mich bedeutsam und erinnerbar aber wurd­e die­se Szene zwei­fel­los nur in Assoziation mit Git­tis trau­rigem Schicksal (sie starb im März 1952, gerade acht Jah­re alt); eine As­so­zi­a­ti­on, mit der sich später noch An­der­sens Mäd­chen mit den Streichhölzern als sachliche und gen­re­ver­wand­te Assoziation verband (das Mär­chen las ich um 1953/54).


Und noch eine weitere, sehr viel später gebildete Assoziation hat sich neuer­dings hinzugesellt: Wie ich 1990 von Gittis Stief­va­ter, meinem kriegsversehrten On­kel, erfuhr, lernte ich in diesem Rondell laufen oder vielmehr spazierengehen, in­dem ich mich an einer seiner Krücken festhielt. Diese Information hat sich in­zwischen als vages Raumgefühl – ohne ei­gent­li­ches Er­in­ne­rungs­bild – an der Stelle nieder­geschlagen, wo schon Eiswagen, Kinderwagen und die Hinkelkäst­chen (Hin­keln auf ei­nem Bein!) an­gesiedelt sind. Eine Stelle, die eine wunderli­che An­ziehungskraft gewonnen hat.


Solch wesentlich später herangeholte oder herbeigeflogene Assoziationen kön­nen sich durch andere verstärken und all­mäh­lich so do­minant werden, daß die ursprünglichen Erlebnisse daneben verblassen und als Erinnerungsszenen schließlich ver­schwin­den. Dies scheint der zweiten liebvertrauten Spielumge­bung meiner frühen Kindheit in dem kaum drei Kilometer ent­fern­ten Nie­der­rheindorf widerfahren zu sein, wo ich im Alter von viereinhalb bis acht Jahren lebte (bis Januar '53). Aus der el­ter­li­chen Woh­nung konnte ich hier über die Straße und einen Drahtzaun hinweg sogleich in die Rheinwiesen treten. Nur noch ei­ne mäch­ti­ge, von uns manchmal bekletterte Weide gleich links jenseits des Zaunes ist mir als Blickfang und Aus­gangs­punkt der Orientierung zu­gleich auch szenisch präsent. Was wir aber in den Wiesen in Sichtweite des Hauses trie­ben, wird mir nicht mehr erinnerlich – solange jedenfalls nicht, als ich mir die Umgebung in dem spontan sich mir an­bie­ten­den, wie­derum wie automatisch ab­laufenden visuellen Raumschematismus vergegenwärtige. Haben sich doch hier­bei in mei­ner Er­in­nerung den Büschen und Bäumen der Wiesenränder Märchen- und Romanszenen angelagert, die ich zum Teil erst lan­ge nach mei­nem Wegzug aus dieser Rheinwiesenstraße kennenlernte:


Links vorne also der Kletterbaum, vor dem ich stehe und mit ziemlicher Bewun­derung zu einem größeren Jungen hinaufblicke, der da oben ei­nen Sitz einzurich­ten steht. Der Baum ist der erste in einer langen, mit Stacheldraht um­zäunten Reihe, die tief in die Rhein­wie­sen hineinführt. Dort hinten, ein wenig nach rechts hin, steht in meiner Erinnerung ein vereinzelter hohler Baum, durch den in An­der­sens Mär­chen ,Das Feuerzeug’ der Soldat von der Hexe in die Erdhöhle hinabgeseilt wird <um 1953/54 ge­le­sen?>. Auf glei­cher Hö­he und etwas weiter rechts da­von schließt sich ein Wäldchen an, wo Schneeweißchen und Rosenrot mit dem Bä­ren woh­nen und an des­sen äußerem Rand rechts die wilden Schwäne rauschend über ihre Schwester hinwegfliegen <um 1953?>. Noch wei­ter nach rechts in die­sem Viertelkreisbogen, schon beinahe an seinem äußersten unte­ren Rand, nahe der Stra­ße, erscheinen am Wie­sen­saum ge­heim­nisvolle ge­mauerte Schächte <Versor­gungströge für Vieh>, die mir schon in früher Ju­gend im­mer nur als ,Mon­te­zu­mas Schatz­kammer’ in den Sinn kommen <eine Assoziation aus Stuckens Roman ,Die weißen Göt­ter’, den ich erst um 1954/55 heim­lich las>.

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