MACHTKÄMPFE INNERHALB UNSERER GEDÄCHTNISBILDUNG?
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Veränderungen werden von uns
- oder in uns - am liebsten verleugnet. Wir ertragen es offenbar nur schwer, daß Personen,
Dinge und Verhältnisse unseres ehemaligen Lebensbereichs, selbst
wenn wir ihn einst mit großer Erleichterung oder
auch jugendlichem Hochmut verlassen hatten, in unserer
Abwesenheit gleichgültig ihren eigenen Gang genommen
haben, daß wir also nachweislich entbehrlich oder ersetzbar waren.
Und damit deutet die Wiederbegegnung mit unserer frühen
Vergangenheit zugleich auf unser Lebensende hin, auf
die betrübliche Vorahnung, daß wir vielleicht schon sehr
bald keine nennenswerte Spur mehr hinterlassen
dürften.
Manchem
Proust-Leser mag die eine oder andere Erinnerungsempfindung und
Spekulation über ein „Ich-Phantom” vertraut vorkommen. Doch
bieten sich dem Zurückkommenden weniger tröstliche Aussichten als
dem Sicherinnernden der Proustschen ,Recherche’
dar. Marcel Proust geht ja dabei auch nicht vom Wiederaufsuchen
der alten Stätten aus, sondern setzt alles auf unvorhersehbare,
zufällig ausgelöste Sinnesempfindungen,
die dank ihrer Analogie mit unbewußt gespeicherten Eindrücken
das dazugehörige Erlebnis wieder in uns heraufrufen,
es in der Erinnerung szenisch entfalten und dabei das gegenwärtige
Ich mit der glückseligen Erfahrung einer
angeblich zeitüberdauernden, das damalige Ich wiedererweckenden
Existenz zu belohnen vermögen. Meine eigene
Erfahrung hingegen ist die, daß Selbstzerstörerisches dem droht,
der nach langer Zeit wieder bestimmte Stätten seiner
Lebensgeschichte aufsucht: Erst jetzt, da der immer nur
oberflächlich bewußte Zeitenabstand
sinnlich-emotional als etwas erlebt wird, das sich kalt und
gleichgültig von dem Zurückkehrenden
fortentwickelt hat, so daß diese Örtlichkeiten, mögen sie auch
noch wie intakt daliegen, ihm als Lebensstätten
entgleiten, erst jetzt kann er dank jener Irritationen,
Phantomempfindungen und
Pseudoidentifikationen die
Erfahrung machen, wie sehr er doch selbst noch im Innersten
dazugehört. Und daß er eben deshalb auch mit dem
Verschwundenen weithin selber schon verschwunden sein
müßte.
Nun
mag man einwenden, daß eine derartige Wiederkehr zu Stätten
jugendlichen Umbruchs eine Ausnahmesituation
ist, die zudem in besonderem Maße halluzinatorische
Wahrnehmungen begünstigt. Denn die unterschiedlichsten
Existenzmöglichkeiten, die damals noch dem Jugendlichen
vorschweben mochten und von denen er die eine oder andere um ein
Haar ergriffen hätte, auch die meist jugendlichen Personen, die ihn
damals zu interessieren begannen und die er oft grußlos
aus dem Auge verlor, all das dürfte mit seinem diffusen
Entwicklungspotential beim Anblick der alten Schauplätze
noch zu verspüren sein, konzentrierter denn je und um so
verwirrender. Insofern hat das seelische Erlebnis des erstmaligen
Wiederaufsuchens wirklich Wahncharakter und ist –
als Krisis – wohl auch nicht mehr wiederholbar. Als Krisis
allerdings macht es auf verwandte alltägliche
Abwehrpraktiken aufmerksam, mit denen wir unserer eigenen
Vergangenheit wie einem lästigen oder
bedrohlichen Rivalen gegenübertreten. Verfügen wir doch
anscheinend über subtile, unmerklich funktionierende
seelische Sperren und Ausgrenzungen, die uns stärker auf die
Erfordernisse der Gegenwart, auf
uns noch verbleibende Entwicklungsmöglichkeiten und vermeintlich
produktivere Tätigkeiten verpflichten