Quelle: www.phillwebb.net/History/MedRen/Pico/Pico.htm
Der
Renaissancephilosoph Pico della Mirandola gilt als der
erste, der in der Neuzeit den Menschen als das sich selber
gestaltende Wesen definiert hat. Zu Beginn seiner
Oratio,
die er 1486/87 als Eröffnungsrede
eines von ihm geplanten europäischen
Gelehrtenkongresses schrieb, trägt der 23jährige
Graf von Concordia seine hochgemuten
Gedanken unter dem – postum von seinen Herausgebern
formulierten – Titel De
hominis dignitate (Über
die Würde des Menschen)
vor. An zentraler Stelle läßt er hier den „höchsten Vater
und Schöpfergott” seinen ersten Menschen wie folgt
ansprechen:
„Keinen
bestimmten Platz habe ich dir zugewiesen, auch keine bestimmte
äußere Erscheinung <’propriam faciem’> und auch
nicht irgendeine besondere Gabe habe
ich dir verliehen, Adam, damit du den Platz, das Aussehen und
alle die Gaben, die du dir selber wünschst, nach deinem
eigenen Willen und Entschluß erhalten und besitzen
kannst. Die fest umrissene Natur der übrigen
Geschöpfe entfaltet sich nur innerhalb der
von mir vorgeschriebenen Gesetze. Du wirst von allen
Einschränkungen frei nach deinem eigenen freien
Willen, den ich dir überlassen habe, dir selbst deine Natur
bestimmen. In die Mitte der Welt habe ich dich
gestellt, damit du von da aus bequemer alles
ringsum betrachten kannst, was es auf der Welt gibt. Weder als
einen Himmlischen noch als einen Irdischen
habe ich dich geschaffen und weder sterblich noch unsterblich
dich gemacht, damit du wie ein Former und Bildner
<’plastes et fictor’> deiner selbst
nach eigenem Belieben und aus eigener Macht zu
der Gestalt dich ausbilden kannst, die du
bevorzugst. Du kannst nach unten hin ins Tierische
entarten <’degenerare’>, du kannst aus eigenem
Willen wiedergeboren werden
<’regenerari’> nach oben in das Göttliche.”1
Pico
besteht auch in eigenen, nicht nur rollensprachlichen
Formulierungen darauf, daß sich das mit einem
freien Willen begabte „Chamäleon”
Mensch allererst die zu ihm passende Gestalt geben müsse:
„Wir sind geboren worden unter der Bedingung,
daß wir das sein sollen, was wir sein wollen.”2
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1 Giovanni Pico della Mirandola, Rede über die Würde des Menschen/Oratio de hominis dignitate, hg. und übersetzt von Gerd von der Gönna (Stuttgart 1997), S. 9
2 a.a.O., S. 13 („nati sumus condicione, ut id simus, quod esse volumus")
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