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Bei
der zuletzt zitierten Entgegensetzung mag einem Ludwig Klages’
späteres Werk Der
Geist als Widersacher der Seele
(1929-32) in den Sinn kommen, von dem sich Scheler aber in
nachfolgenden Auflagen seiner
Kosmos-Schrift
energisch abgrenzt. „Geist” werde hier nämlich auf
Intelligenz und Wahlfähigkeit reduziert;
die von Klages angeführten Dekadenzerscheinungen,
die den kulturgeschichtlichen Verlauf
angeblich zunehmend bestimmen, seien lediglich
Ausdruck einer „Übersublimierung”
und besonders einer Überspanntheit der
„technischen Intelligenz”. Grundfalsch
jedenfalls sei die These vom Geist als einer
lebenszerstörerischen Macht, da ihm überhaupt
keine Kraft oder Tätigkeitsenergie
zukomme.33
Geist leistet nämlich nach Scheler seine ideelle
„Entwirklichung” nur, indem er den Triebimpulsen
neue Ziele entgegenhält oder sie durch eigene Vorstellungen
umlenkt. Daß der Geist „Widersacher”
des Lebens sei, ist mithin primär als seine versachlichende
Leistung aufzufassen, durch die der Mensch
sich dem hochspezialisierten und strikt strukturierten
Umweltbezug der tierischen Lebensweise
entzieht und seine Triebimpulse so steuert, daß nicht zuletzt
individuelle Zielsetzungen
möglich werden. Die Erinnerung an individuell
Erlebtes, die nur dem Menschen möglich ist, trägt
freilich zur Auflösung der kulturellen
Überlieferung bei. Überhaupt ist von „einem
zunehmenden Abbau der Tradition” in der
menschlichen Entwicklung zu sprechen,
da durch die Ratio alle überlieferten
Inhalte ständig objektiviert werden, entweder als noch
wertvoll angenommen oder verworfen, um Neuem
Platz zu machen.34
Wie
alle bisherigen Verfechter des (welt )offenen Wesens
des Menschen macht auch Max Scheler auf Gefährdungen
aufmerksam, die sich aus dem „weltexzentrisch
gewordenen
Seinskern”35
des
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33 a.a.O., S. 85f.
34 a.a.O., S. 29f.
35 a.a.O., S. 90