um
Ruth,
seiner Beichte, Aufnahme in die Gemeinde der Mennoniten und demnach
auch Absage an den einstigen Kriegsdienst – es verschlägt nichts.
Er ist nicht im traditionellen Sinne in der "Nachfolge".37
Vielmehr
verkörpert er den geschichtlich veränderten Stand der Opferpassion,
der vom längst pervertierten Erlösungsanspruch des christlichen
Originals nur noch eine weltimmanente, die Gegenwart freilich
transzendierende Fassung zuläßt. Wie Grete Minde wird Lehnert Menz
durch die Identifikation mit dem christlichen Urbild dem
existierenden Staatschristentum entgegengesetzt und im
Aufbegehren gegen dessen angemaßte Autorität verteidigt. Doch
wenn für Grete der Engel in Nimbus und Provenienz unangetastet
blieb, dann wird hier der überirdische Bezug dementiert und
das Erlösungsverlangen statt dessen an die individuell mögliche
Reichweite und Verantwortung gebunden. Lehnerts verunglückende
Himmelfahrt, als er – nicht ohne Komik – "wie von
einer Rutschbahn" vom Bergkegel hinunterglitscht, verweist ihn
so zurück auf seine Lebensgeschichte. Nur so, in neuer solidarischer
Bindung und Aufopferung, rechtfertigt sich die strenge Wiederaufnahme
der Todesumstände, nur
so wird Menz nicht wie die habgierigen Gewalttäter Bocholt und
Hradscheck sang- und klanglos ins Leichenversteck hineingezogen.
***
Mit seinen
"Zeitromanen" hat sich Fontane inzwischen substantielleren
Konflikten zugewandt. Und gerade auch das Versteck, nun entlastet vom
Eindeutigen individueller Gewaltschuld, ist aufnahmefähiger geworden
für etwas Zeittypisches, nämlich die in anonymer
Konsequenz sich durchsetzende gesellschaftliche Gewalt. Thematisch
stehen die beiden unmittelbar aufeinanderfolgenden Erzählungen
'L'Adultera' (1882)
und 'Schach von Wuthenow' (1882)
einander denkbar fern.
In
kryptischer Lesart freilich ist zu erkennen, daß Fontane hier
sukzessive zu seinem gewagtesten Modell der Verstecksuche
gefunden hat, zur (sexualsymbolisch verschlüsselten) Zuflucht in den
Mutterleib.
-------------------------------------------------------------------------------------------
37
Mittlerweile hat
Hugo Aust in 'Theodor Fontane. Ein Studienbuch'
(Tübingen
und Basel 1988) ebenfalls auf die "Verwendung des Kreuzes"
und die christologisch gekennzeichnete Rolle von Menz aufmerksam
gemacht, sieht darin aber nichts als "verwirrende und ironische
Bezüge", da er solche vereinzelt auch bei Menz' Widersacher
Opitz sowie bei Obadja Hornbostel zu finden glaubt und in ihrer
Relevanz überbewertet (a.a.O., S. 138f.).
Christian
Grawe führt in seiner 1990 erschienenen Studie 'Quitt: Lehnert Menz’
Tod und Auferstehung' noch
weitere Indizien für diese These an, darunter des Pastors
Bewunderung von Menz’ Rosenstrauch als einer "wahren
Gottesgabe" (der Rosenstrauch symbolisiert auf
Gräbern von Märtyrern als Symbol ihre Auferstehung) oder auch die
Andeutung teuflischer Züge bei Menz’ Widersacher Opitz.
Vgl. hierzu S. 304f. und 306 des Wiederabdrucks in: Christian
Grawe, '"Der Zauber steckt immer im Detail". Studien zu
Theodor Fontane und seinem Werk 1976-2002', Dunedin 2002, S. 303-321.