BILDER FONTANES GEGEN DEN TOD. ›QUITT‹
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Bildquelle: ›Quitt‹ im ›Verlag der Nation‹ (Berlin 1973, S. 7 und 219)
später
seiner von einer Kreuzotter ins Handgelenk gebissenen Freundin
"leidenschaftlich" das Gift aussaugt, dann hat schon seine
eigentliche Passionszeit begonnen. Lehnert
Menz, der von seinem Vater das Handwerk des Schreiners und
Stellmachers übernommen hat, findet im Alter von 33
Jahren30
seinen
qualvollen Tod, dürstend und bewegungslos, gebannt auf den
querbalkenförmigen Plateaurand des steil ansteigenden
Bergkegels "Look out". Wie Jesus nach den Worten des
Johannes-Evangeliums ("»Es
ist vollbracht!«
und
neigte das Haupt und verschied") stirbt er
hier seinen Stellvertretertod31:
"»Ich
bin fertig ... Ich komme.« Und nun fiel er mit dem Kopf auf das
Lager zurück".
Mit
dem Jagdmesser, das man mit in den Boden gestoßener Klinge neben ihm
findet, hat er sich an der Stelle des Wundmals Christi die Hand
geritzt, um mit dem Blut seine Bitte um Vergebung niederzuschreiben.
Unter einem "Bahrtuch, in das ein großes silbernes Kreuz
eingestickt war", trägt man ihn fort.32
Zugetragen
hat sich sein Opfergang in den Tagen um Christi Himmelfahrt, was sich
ebenfalls schon in der ersten Romanszene ankündigte:
Der
vor dem Prediger aus der Kirche geflüchtete Menz saß neben seiner
Mutter "auf einem großen Grabstein, zu dessen Häupten eine
senkrecht stehende Marmorplatte mit einer 'Christi Himmelfahrt' in
Relief in die dicht dahinter befindliche Kirchhofsmauer eingelassen
war ..."33
Die
schon aufdringlich inszenierte Parallelität der Umstände, unter
denen Menz und sein Opfer Opitz ums Leben kommen, soll die anstößige
Kontrafaktur der christlichen Nachfolge überdecken. Nicht erst der
Umstand, daß Menz den Tod stellvertretend erleidet,
sondern schon sein Anschlag auf den Förster hat Züge einer
Selbstaufopferung. In
diesem "Polizeistaat" eines preußischen Staatschristentums
kann sich der
stolze und eigensinnige Menz nur als rebellischer Wortführer
behaupten und tritt in seinem Bekenntnis zum Haß ("das Beste,
was man hat")34
entschieden
gegenchristlich auf – kaum anders als Grete Minde in ihrer
Ablehnung des christlichen Gebotes der Vergebung.
Nur so vermag
Menz seine persönliche Integrität zu behaupten, die er schon von
klein auf durch seine unaufrichtige und devote Mutter bedroht weiß,
die beim Durchbohren der Köpfe von zu schlachtenden Gänsen
Wiegenlieder zu singen pflegt und der er entgegenhält: "Immer
versteckt; du kannst nichts offen tun ... Und Mutter, so hast du mich
auch erzogen und angelernt."35
Seine Virtuosität
in der Verstecksuche und Vermummung muß der Pascher und Wilderer
aber noch einmal für das Treffen mit dem Förster unter Beweis
stellen, und nachher entkommt der im Rosenbusch Versteckte seinen das
Haus umstellenden Bewachern. Der Druck zur Verstellung fällt erst
drüben in Nordamerika, an der Seite der Geschwister Ruth und
Toby in dieser so erstaunlich offenen kleinen
Mennonitengemeinde.36
So sehr es
Menz auch drängt, die eigene Vorgeschichte zu offenbaren und trotz
seiner wie biblischen Werbung
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30
N
VI, 121 31
N VI, 209. Als Toby den Leichnam des Verunglückten findet, heißt
es: "Der da lag, war gestorben um ihn,
um seinetwillen" (N VI, 212).32
N VI,
Kap. 34 und 35
33
N VI,
7
34
N VI,
33
35
N VI,
33
36
"The
larger household living in peace at Darlington consisted of
Mennonites who had gone into exile from Prussia out of
opposition to military service, a Polish Catholic,
Indians, a socialist, atheist Frenchman, and a killer from
Silesia. None of these characters could have lived
peacefully in Prussia, indeed the Bornhostel
household comprised a veritable wanted poster of
Bismarck's list of enemies of the Reich."
Mark
Jantzen, 'The Darlington Mission in Theodor Fontane’s
Novel "Quitt"'.
In: 'Mennonite Life'
vol
61, no. 2 (June 2006). URL:
www.bethelks.edu/mennonitelife/2006June/jantzen.php
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