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BESUCH ALS KORREKTIV:  WIEDERSEHEN  UND  -ERKENNEN  NACH  JAHRZEHNTEN

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gefaßt machte. Mein Besuch widerlegte diese Er­wartungen weit­hin, bestätigte sie jedoch hinsichtlich seiner gefürchteten Zor­nes­aus­brü­che, als er mit einem Mal jemanden aus sei­ner Familie so maßlos empört anfuhr, daß ich überzeugt war, er müßte da­mals, be­vor er zuschlug, genau so au­ßer sich ge­ra­ten sein. So überfallartig jetzt, daß es wirklich be­klemmend war, hielt er sich doch im vor­an­ge­gan­ge­nen Gespräch zu dritt be­tont diszipliniert zurück. Einige Male je­doch, als er engagierter seinen Stand­punkt ver­trat, hat­te ich „ihn” wieder vor mir, nämlich während einer gewissen Erstarrung, in der er, die Au­gen weit auf­ge­ris­sen, merk­wür­dig ge­preßt sprach oder knapp auflachte. Dies müssen damals die Momente ge­we­sen sein, in de­nen er kaum mehr Wi­der­spruch er­trug und an­dernfalls, zum Zerreißen ge­spannt, sofort auf den Be­tref­fen­den los­ging.


*



An seiner plötzlich gepreßten Sprechweise glaubte ich auch, nach 36 Jahren, einen anderen Weggefährten deut­lich wie an keiner an­de­ren Stelle unseres Gesprächs wiedererkannt zu haben. Bei ihm war es aber nicht die er­reg­te Vor­stufe einer Gewalttätigkeit, son­dern im Ge­gen­teil ein Sichentspannen oder Sichgehenlassen nur Se­kun­den nach Auf­he­bung unserer Unterredung. Bis dahin such­te er, der schon beim er­sten schriftlichen Kon­takt be­teu­ert hatte, daß die damalige Zeit für ihn seit langem keine Rolle mehr spiel­te, sich mei­nem Emp­fin­den nach ent­schlos­sen unter Kontrolle zu halten, erklärte so seine Erinnerungen für weit­ge­hend ge­löscht, sprach durch­weg aus ei­ner be­lustigten Distanzhaltung heraus, ging mit keinem Satz auf seinen da­ma­li­gen Al­ters- und Wis­sens­vor­sprung ein und lob­te öfter wie erstaunt mein Erinnerungsvermögen. Vor al­lem an sei­nem wie­der­holten Auflachen, das für mich nicht stim­mig war, glaub­te ich all dies als eine Ver­stel­lung durch­schau­en zu können, für die er übrigens gute und von mir von vorn­her­ein ak­zep­tier­te Gründe hat­te; ei­ne Ver­stel­lung, zu der ich durch eine allzu offensive briefliche Erklärung zu den Mo­ti­ven mei­ner Er­in­ne­rungs­su­che bei­getragen hatte.

    Kaum hatten wir uns nun nach dem Gespräch erhoben, unterlief er ihm doch noch, dieser Rückfall in eine ei­gen­ar­tig gepreßte, kaum einen Satz lang durchge­haltene Sprechweise, die vielleicht eher eine Art Auf­split­te­rung war, aus der mir einige altvertraute Nu­an­cen entgegensprangen. Ich konnte sie nicht benennen oder ei­ner be­stimm­ten Ge­müts­la­ge zuordnen, erkannte daran aber auch, wie sehr er sich vor­her zu­rück­ge­nom­men und, von sei­nem Witzeln abgesehen, in welch routinierter Monotonie eines Er­wach­se­nen er ge­spro­chen hat­te. Und be­dau­er­te zu­tiefst die­se trockene, zu flüchtigen Einwänden neigende Ma­nier, die nichts mehr von sei­ner für mich einst bri­llanten Nervosität zu erken­nen gab. Dafür mußte ich an die knap­pe Cha­rak­te­ri­sie­rung des Ju­gend­li­chen zu­rück­den­ken, die ich Jahre zu­vor einmal zu Papier gebracht hatte: „ ... er hat­te frei­lich et­was Ver­hoh­le­nes, sei­ne


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