GESTALTEN DES VERGESSENS. BIOGRAPHISCHE STIMMIGKEIT
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Wenn überhaupt,
dann könnte man für solch banale Gedächtnisinhalte die seit der
elektronischen Datenverarbeitung besonders
beliebte Metapher von einer „Speicherung” gelten
lassen. Erinnerung aber ist alles andere als ein
Abrufen von Gespeichertem. Schon der gegenwärtige
retrospektive Akt des Sicherinnerns verläuft durchweg
als Suchvorgang, als tastendes oder auch
kombinatorisches Sichvergewissern; und
trifft dann im letzten auf die strukturelle,
unmerklich über lange Zeit hin nichtbewußt verlaufende
Erinnerungsbildung, deren gewaltiges
schöpferisches Potential hier zu dokumentieren war.
Läßt sich aber nicht da von einer Zeitspeicherung sprechen, wo eine
Erinnerungsszene noch so andrängend vor einem steht, daß
in ihr das damalige Erlebnis wie konserviert erscheint? Dies
gilt vor allem für akustisch auffällige Szenen,
sei es, daß ein Zuruf wie der Einkaufsruf meiner Großmutter
oder eine Anrede in fremder Sprache noch
immer in mir nachklingen, sei es, daß damals alles
betont leise oder stumm ablief wie bei der nahezu
geflüsterten Verabredung mit jemandem beim Versteckspiel. Die
magische Präsenz dieser Szenen verdankt
sich einem Offenheitsgefühl, das den damaligen Momenten aber
selber schon angehörte, indem ich voll
Erwartung war, aus unterschiedlichen
Gründen ganz Ohr zu sein hatte. Zudem zeigt gerade der noch wie
unerledigte Einkaufsruf, daß der
damalige Zeitmoment nicht „gespeichert”, sondern
transformiert wurde, indem der Zuruf meiner
Großmutter insgeheim in einen Appell an ihr
Andenken verwandelt wurde. Ein die Vergangenheit
und Gegenwart transzendierender Moment
wie der Aufforderungsruf meiner
Klassenkameradinnen aus der
Grundschule, die immer noch auf die Erfüllung
meiner Mission dringen („Der Kaiser
schickt seine Soldaten aus,/ Er schickt den Horst zum
Tor hinaus”).
Die Metapher vom
Erinnerungs- oder gar Zeitspeicher ist trügerisch, suggeriert
sie doch in hohem Maße Verläßlichkeit, Stabilität
und Unwandelbarkeit. Für die ausdauernde lebensgeschichtliche
Erinnerung jedenfalls wären andere Bilder zu
suchen: Vergegenwärtigt man sich, wie
ungleichmäßig und oft unkalkulierbar die
Zeitenabstände zwischen den erinnerbaren
Lebensmomenten sind und was nicht alles dabei nur
mutmaßlich zu rekonstruieren ist oder
schemenhaft im Hintergrund bleiben muß, kann einem
dieses schwindelerregende, über
riesige Lücken hinwegführende
Unternehmen im Blick zurück wie ein Ritt über den Bodensee
vorkommen. Aber noch dieses Bild wird zu sehr von dem
heilfrohen Nachgefühl der glücklichen Rettung und
endlichen Sicherheit beherrscht.
Umfassender und tiefer wäre das – seit der
Kindheit mich begleitende – Sinnbild der Odyssee, das über
dem Ziel den Lebensweg nicht vergißt, die Serie
der Irrungen, Niederlagen und den Verlust der Gefährten
auch durch die lange unwillkürliche
Erinnerungsbildung; und im übrigen
offen bleibt für den Nebenmythos, wonach
der Heimgekehrte zuletzt wieder zu neuer großer
Entdeckungsfahrt aufbricht.
Muß
aber nicht derjenige, der die Verläßlichkeit der Erinnerungen so
skeptisch beurteilt, sich zugleich auch von der
Nachweisbarkeit
einer folgerechten persönlichen Entwicklung
verabschieden? Nun, selbst ein solcher Skeptiker dürfte
zumindest eine ge-