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BESUCH ALS KORREKTIV:  WIEDERSEHEN  UND  -ERKENNEN  NACH  JAHRZEHNTEN

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knappen Seitenblicke fielen mir auf, ich weiß nicht, ob aus Zu­rück­hal­tung oder eher aus einem heim­li­chen Kontrollbedürf­nis”. Bei­läu­fi­ge Wesenszüge, die sich an­schei­nend auf Ko­sten je­ner ande­ren ver­stärkt hat­ten, auch wenn sie durch meine schriftliche An­kün­di­gung, auf ei­ner pre­kä­ren Re­cher­che zu sein, nun be­son­ders stark her­aus­ge­fordert wurden. Von solch längeren Er­klä­run­gen, die nicht zu­letzt mein latent schlech­tes Ge­wis­sen als Vivisezierer unserer Ge­sprä­che beruhigen sollten, ließ ich bald ab und deu­te­te de­nen, die ich be­su­chen wollte, meine wei­ter­ge­hen­den Ab­sich­ten nur noch eben an.

   So konnte auch ich nicht alle Karten gleich auf den Tisch legen. Und traf hin­wie­derum auf manch andere, un­schein­ba­re oder un­will­kür­li­che Art der Ver­stellung. Dazu gehört die übliche höflich-konventionelle Zu­rück­hal­tung zu Be­ginn eines Gesprächs und be­son­ders beim er­sten abtastenden Telefonat. Eine in langer Le­bens­er­fah­rung un­merklich zugelegte Panzerung, die sich al­ler­dings frü­her oder später lockert. Am ehesten zeig­te es sich wie­der an der Sprechweise. Schon in den ersten Minuten pflegte es zu ge­sche­hen, daß je­mand für kurz in ei­nen bur­schi­ko­sen Tonfall abrutschte oder daß ihm in der Überraschung und Freude ein Aus­ruf oder ei­ne Re­de­wen­dung ent­schlüpf­ten, an denen er, wie mir schien, so­gleich wiederzuerkennen war. Be­son­ders be­redt wer­den kann je­man­des Zö­gern, das Verarbeiten einer Überraschung etwa im Stimmerheben oder im Auf­la­chen – mo­men­ta­ne Ver­lu­ste der Selbst­kon­trol­le oder Phasen nachlassender Konzentra­tion, in de­nen die al­ten ju­gend­li­chen oder kindlichen Re­ak­ti­ons­for­men er­neut ih­re Rechte behaupten.

   Es waren immer nur Momente. Zumal ich im Laufe des Gesprächs längst nicht mehr so empfänglich dafür war wie noch in den er­sten Minuten. So glaubte ich einmal nur bei den Begrüßungssätzen an der Tür die Stimme des Kindes aus der des Er­wach­se­nen her­auszuhören.


*

 

Während mir bei einem altgedienten Soldaten gewisse autoritäre Einsprengsel wieder einen kleinen inneren Ruck gaben („Hör mal!” oder „Achtung!” und „Aufgepaßt!”), wurde der eine oder andere durch die erst in spä­te­rer Zeit er­folgte berufliche Über­for­mung seines Verhaltens nahezu unkenntlich. Daß selbst hier­bei ältere Ei­gen­hei­ten oder An­ge­wohn­hei­ten weiterzuleben ver­moch­ten, mehr schlecht als recht zwar, ging mir in der Re­gel erst in der Nach­be­trach­tung des Gesprächs auf. So gab sich Y., den ich als hei­te­ren Spring­ins­feld in Er­in­ne­rung hat­te, nun, nach 28 Jah­ren, zum Verzweifeln seriös und betete seine beruflichen Kom­pe­ten­zen und Er­fol­ge al­ler Art so brav her­unter, wie es einem leiten­den An­gestellten in seiner Region und Branche wohl an­ste­hen mag. Nur ein-, zwei­mal, beim Imi­tie­ren al­berner Zeitgenossen, lebte sein komisches Talent wieder auf. Zu seinem rou­ti­nier­ten Ei­gen­lob fiel mir erst viel später ein, daß er sich schon als Jugendlicher wiederholt mit spie­le­ri­schem Mut­wil­len vor uns brü­ste­te, da­mals noch in char­manter Selbstironie; sie zumindest schien ihm in­zwi­schen ein für al­le­mal ab­handen gekommen zu sein, nicht aber sei­ne nun be­fremd­lich skru­pellose Lust zur Selbst­dar­stel­lung.


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