1. Die philosophische Kontroverse zwischen Sloterdijk und Habermas
Mit seinem Vortrag
Regeln für den Menschenpark, den Peter Sloterdijk im Juli
1999 auf dem Elmauer Symposion Jenseits des Seins
... Philosophie nach Heidegger hielt, löste er eine der
heftigsten und verworrensten Debatten
in der jüngeren deutschen Geistesgeschichte
aus. In ihrer Bedeutung hat man sie inzwischen mit der Davoser
Disputation zwischen Heidegger und Cassirer
(1929) und dem sog. Positivismusstreit der
1960er Jahre verglichen, aber auch nach dem
sog. Historikerstreit (1986/87) spöttisch als
„Hysterikerstreit” tituliert. Die einzelnen
Phasen der Menschenpark-Debatte
hat Heinz-Ulrich Nennen in seinem vier Jahre später
erschienenen Buch Philosophie in
Echtzeit (2003) mitsamt den Mißverständnissen
und taktischen Manövern auf 650 Seiten nachgezeichnet,
interpretiert und mit geistesgeschichtlichen
Annotationen versehen.9
Ich möchte daher auf diese Details nicht mehr
eingehen, sondern nur den Gedankengang von
Sloterdijk in Erinnerung rufen.
Er gab
seinem Vortrag den auf Heidegger anspielenden Untertitel
Ein
Antwortschreiben zum Brief über den Humanismus.10
Ehe er zu Heideggers
Schrift kommt, stellt er seine eigene Auffassung des
humanistischen Wesens der Philosophie
vor, die er im wesentlichen als eine zu
Freundschaften verführende
Alphabetisierung definiert,
die „wie ein Kettenbrief durch die Generationen
... die Kopisten und Interpreten in ihren befreundenden
Bann”11
gezogen habe, dies besonders folgenreich in dem großen
Überlieferungsprozeß der griechischen
Kultur durch die Römer. Ihren Höhepunkt habe diese
textgebundene und zunehmend
philologisch fundierte humanistische
Bewegung im Zeitraum zwischen 1789 und 1945 erreicht und
sei seitdem von den massenmedialen
Kommunikationsformen abgedrängt
worden. 1946 dann, „im elendsten Tal der europäischen
Nachkriegs-Krise”,12
habe der französische Philosoph Jean
Beaufret dem von ihm verehrten Heidegger neben Fragen u.a.
zu Sartres Theorie des Engagements auch die
gestellt, wie man dem Wort ‘Humanismus’ einen Sinn
zurückgeben könne („Comment redonner un
sens au mot ‘Humanism’?”). In seiner Antwort stellte
Heidegger
den europäischen Humanismus als eine prinzipielle
Verfehlung hin; habe er
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9
Heinz-Ulrich Nennen: Philosophie
in Echtzeit. Die Sloterdijk–Debatte: Chronik
einer Inszenierung. Über Metaphernfolgenabschätzung,
die Kunst des Zuschauers und die Pathologie der
Diskurse.
Würzburg 2003.
10
Ich zitiere nach der noch 1999 (in Frankfurt/Main) erschienenen
Buchpublikation, die stilistisch leicht
überarbeitet wurde und den Untertitel
trägt: Ein
Antwortschreiben zu Heideggers Brief über den
Humanismus
11
a.a.O., S. 7 12
a.a.O., S. 19
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