SELBSTERFORSCHUNG. - BESUCH ALS KORREKTIV
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angereichert
und umgewandelt worden. Heißt dies nicht umgekehrt,
daß all das, was erst jetzt zu Wort kam, so armselig und relativ
zurückgeblieben es angesichts der vertanen
Gespräche oft auch sein mag, sich noch unverfälscht in mir halten
konnte? Selbst wenn dies, wie ich meine, auf eine
Reihe von Erlebnissen zutrifft, so wurden sie doch schon
während der Erinnerungsbeschreibung
seelisch neu integriert, indem sie sich sogleich
meinen späteren, seitdem gemachten Lebenserfahrungen
zu stellen hatten. So sehr ich auch durch Perspektive und
Vokabular des Kindes das Bescheidwissen des
Erwachsenen zu unterlaufen und nach Möglichkeit
nichts hineinzulesen suchte in diese Bruchstücke
und Episoden, die ja allererst behutsam aufzulesen und zu sichern
waren, so unvermeidlich mußte ich doch
alles zugleich in einem nie dagewesenen
Zusammenhang betrachten: Je besser ich mich wieder
hineinfinden konnte in eine bestimmte
Lebenssituation, desto mehr schärfte sich der begleitende
interpretierende Blick des Erwachsenen,
der sich immer genauer orientieren konnte, dies und
das zu durchschauen begann und bald auch die eine
oder andere Verhaltenskonsequenz
zu registrieren hatte. Und wie sich das weitere Wissen
des Erwachsenen um die erinnerten Szenen
und das kindliche Selbstbewußtsein lagerte, so schlugen
auch die Erkenntnisaffekte des Erwachsenen, vor allem
Bestürzung und Entzücken über das Entdeckte,
durchweg schon in den Moment der erinnernden Rekonstruktion
ein – noch bevor es in typographisch abgesetzter
Schrift kommentiert und näher untersucht werden konnte.
Anders als in der poetisch überhöhten
Erinnerungstechnik Prousts waren mir
außerdem Wiedererstehungserlebnisse des damaligen Ich
nicht vergönnt (oder doch nur mit merklich
halluzinatorischem Einschlag).
Immerhin wurden die vielen unterschiedlichen
Lebensmomente, mochten sie mir noch so
ursprünglich oder wie festgewachsen auf ihrer
jeweiligen Alters- und Bewußtseinsstufe
vorkommen, durch meine schriftliche Erinnerung
zum erstenmal systematisch zueinander
geführt, wurden gemeinsam, wenn auch sukzessive, ins
Bewußtsein des Erwachsenen gehoben.
***
Die möglichst in
kindlicher Perspektive niedergeschriebenen Erinnerungen wurden von
mir also zweifach überprüft und erweitert. Zum einen
begleitete ich sie in der vom Erinnerungstext typographisch
abgesetzten Reflexion des Erwachsenen; zum anderen
machte ich mich bald nach der ersten Niederschrift daran, die
einstigen Lebensstätten wieder aufzusuchen,
sie in ihrem Zeitkolorit zu erkunden und
außerdem die inzwischen weit verstreut lebenden
Spielkameraden, Weggefährten und auch Lehrer nach
Jahrzehnten wieder zu besuchen. In den
Gesprächen mit ihnen beachtete ich vor allem die Momente,
in denen ich wieder mit „ihnen” in Berührung zu
kommen glaubte, mit ihrer Persönlichkeit und der kollektiven
Dimension unserer gemeinsamen Vorgeschichte.