UNBEWUSSTER TOTENKULT IN DER ERINNERUNG. - PSYCHOBIOLOGISCHE HINTERGRÜNDE
-----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
und Schulkameraden
„Mimi” und „Fränzi” Rondell bei der Großmutter
zurückkam. Von den Spiel- und Schulkameraden „Mimi”
und „Fränzi” wurde ich durch den Umzug zu Beginn des
3. Schuljahrs getrennt. Die Trennung von einem Mädchen, das ich in
Wyk auf Föhr kennengelernt hatte, nahm ich dann als
Achtjähriger zum erstenmal nicht mehr so hin, sondern suchte
ausdauernd nach ihr, wenn auch vergebens; und ließ mich
erneut trennen, diesmal von Elke, als wir beide auf höhere
Schulen wechselten. Das sind die Verluste der
Kindheit, gegen die man sich, als abhängiges Wesen, nur in
der Phantasie zur Wehr setzen kann. Verluste,
die ich als endgültige erst lange nach der Trennung zu
begreifen begann, so erschütternd nun, daß
ich, mir weithin unbewußt, die Verlorenen im
Lauf der Zeit in meinen phantasiegesteuerten
Erinnerungsbildern wie in einer Gruft oder Krypta
beisetzte, in der immer auch ich selbst präsent
blieb:
Die
so früh verstorbene „Gitti” liegt für mich spürbar in unserem
gemeinsamen Heckenversteck am Rande des kleinen Rondells,
das mit ihren vom Erfrierungstod bedrohten Alter-ego-Figuren besetzt
ist. „Mimi”, als Jugendlicher mit dem Auto
tödlich verunglückt, bleibt als Knabe neben mir gegenüber
der Eiche hingeduckt, auf der Lauer nach einem Auto,
das gegen unsere ausgespannte Schnur sausen soll.
„Fränzi” hockt Hand in Hand mit mir in unserem
Kellerloch-Versteck, derweil die anderen immer
noch nach uns fahnden. Das Wyker Mädchen bleibt
verschollen und etwas in mir weiterhin auf der Suche
nach ihr. Elke schließlich lebt in ihrer letzten
Schülerrolle als Schneewittchen fort, als
Scheintote, der ich wenigstens so, als damaliger
„Ersatzzwerg”, noch über Jahre hin verbunden
blieb.
Tausend andere
Momente mit ihnen habe ich vergessen zugunsten dieser ausgewählten
Erinnerungsszenen, die den Verlust sinnbildlich
festhielten und mir zugleich, wie bei meinen vor dem
Gymnasium beigesetzten literarischen
Doppelgängern, Trost spendeten, indem
ich selbst jedesmal in die Nähe dieser Verschollenen gebannt
blieb. Wohl nur auf diese Weise konnte ich sie mir auch
seelisch erhalten.
*
Wie ich nun meine
Doppelgänger, Schatten und Nebenexistenzen nicht länger als
Bedrohung empfinde, sondern sie seit einiger Zeit als
Erweiterungen meiner selbst auffassen kann, so wird mir
umgekehrt dieser Selbstbehauptungswille
immer suspekter, zu dem ich als Kind so grandios flüchtete, als
ich mich in visionärer Evidenz von der eigenen
Nichtsterblichkeit überzeugte (vgl. S. 14). Steht
nicht hinter diesem angeblichen Willen zur Selbstbehauptung,
der unsere ureigensten Interessen durchzusetzen vor-
- 57 -
Zurück