Noch
in der Dunkelheit und ohne Frühstück verlassen wir das Hotel und
gehen zur Haltestelle des Minibusses, der uns zur
Alhambra
hochbringt.
Vor dem östlich gelegenen Einlasspavillon (Nr. 1) warten im
Morgengrauen schon an die 100 Leute auf den Einlass. Während Ruth an
dem Sondereingang für das im Internet vorbestellte „Bono
turistico” ansteht, besorge ich für uns Kaffee und Hörnchen. Wir
sind mit die ersten, die ein Tagesticket erhalten und werden in der
Folge nur gegen Ende der Besichtigung von größeren Gruppen
eingeholt.
Wie
die Illustration oben zeigt, führt der übliche Rundgang zunächst
durch eine kleine Waldung und nach Passieren der Torre del agua
entlang der einstigen Medina
(Nr.
5), die von den Bediensteten der Alhambra bewohnt und nach der
Vertreibung aller spanischen Mauren bis auf die Grundmauern zerstört
wurde. Nach Durchlaufen eines zweiten Gehölzes
haben wir dann den Palastkomplex vor uns.
Im
weiteren Fortgang – ich springe jetzt einmal weit voraus –
kommen
wir beim Patio de Lindaraja (Nr. 29) auch durch die Räume, die der
amerikanische Schriftsteller Washington
Irving
von
Anfang Mai bis Ende Juli 1829
bewohnen durfte und in denen er mit den Vorarbeiten zu seinen
‚Erzählungen
von der Alhambra'
begann.
Sein 1832 veröffentlichtes Buch war es eigentlich, das nach
Jahrhunderten wieder auf die Alhambra aufmerksamer machte und
insbesondere die europäische Romantik inspirierte; es gab
auch den Anstoß zu einer erneuten großen Wiederinstandsetzung der
Palastanlagen. Außer jener Gedenktafel hat man ihm in dem Wäldchen
hinter der Puerta de las Granadas eine Bronzestatue (Nr. 65) mit der
Widmung „Hijo de la Alhambra" („Sohn der Alhambra”)
gesetzt. Sie spielt auf Irvings jungen Führer durch die Alhambra an,
der sich im 4. Kapitel mit
dieser Selbstauskunft als ihr kundiger Bewohner empfahl.
Viele
Gebäude der Alhambra nahm Irving zu Schauplätzen seiner
Erzählungen, einige wie die Torre de las Infantas („Turm der
Prinzessinnen”) wurden später nach der entsprechende
Kurzgeschichte von Irving benannt. Ich komme gelegentlich darauf
zurück.
Die
Paläste der Alhambra kann man nicht eigentlich mit den Jahrhunderte
früher entstandenen Königspalästen in Sevilla und Córdoba
vergleichen. Das Nasriden-Emirat
von
Granada, als letzte maurische Bastion in Andalusien Anfang Januar
1492 an die „Katholischen
Könige”
gefallen,
wurde erst relativ spät dank der militärischen Hilfe Ferdinands
III. von Kastilien gegründet (1246) und diesem dafür
tributpflichtig. Die Emirate von Córdoba und Sevilla hingegen
bestanden schon seit der Mitte des 8. Jh. und wurden ungefähr zur
Gründungszeit der Alhambra von Ferdinand III. eingenommen (1236 bzw.
1248), Sevilla gar dank vertragsgemäßer Mithilfe der Nasriden!
Waren in Sevilla die Königspaläste stark von der
maurisch-spanischen Mudéjar-Architektur
des
13. und 14. Jh. geprägt und ließ in Córdoba der im 14. Jh. neu
erbaute Alcázar
nur wenig von seinen arabischen Vorgängerbauten stehen, so haben
sich in Granada die Palastanlagen relativ gut erhalten. Denn die
Alhambra wollten ihre Eroberer nicht durch Artillerie verwüsten –
die deutschen Artilleristen wurden deshalb entlassen –, sondern
sollte ausgehungert werden. So wurde sie denn auch nach
mehrmonatiger Belagerung mit einem Kapitulationsvertrag, den die
Spanier freilich bald brachen, übergeben. Zudem fiel die Alhambra
schon im 16. Jh. bis hin zu Washington Irvings Besuch in einen
jahrhundertelangen Dornröschenschlaf.
Durch
die Puerta del Vino (Nr. 12) gelangen wir zunächst in den Bereich
der Alcazaba
(„Zitadelle”),
die als ältester Teil des Alhambra-Areals gilt und Mitte des 13.Jh.,
lange vor den ersten Nasridenpalästen, erbaut wurde. Der auffällig
rötliche Farbton der Zitadelle, deren Türme denn auch „Torres
Bermajas” („Rote Türme”) heißen, könnte sogar hinter dem
nicht recht geklärten arabischen Namen „Alhambra” stehen, der
meist als „Rote Festung” oder