Wegen
weiterer Umleitungen an diversen Baustellen im Stadtzentrum gelingt
es uns nicht, das für drei Übernachtungen gebuchte Hotel „Hesperia
Granada”
anzufahren, das gleich hinter dem Rathaus liegen soll. Wir
finden es schließlich dank eines gastfreundlichen älteren Mannes,
der jedoch, bevor er sich zu uns ins Auto setzt, sich selber des
längeren mit jemandem über die Umwege beraten muss. Wann endlich
wird ein Navigationsgerät mit Karten-Update zumindest für Mietwagen
selbstverständlich sein? Ich war kurz davor, zum ersten
Mal überhaupt, mir von einem voranfahrenden Taxi den Weg zeigen zu
lassen. An der Hotelrezeption bedauert man diese
Misshelligkeiten nur knapp, es ist wohl ein Dauermalheur während der
Baustellenzeit. Eine hinter mir anstehende deutsche Frau fragt
sogleich, wie wir es nur bis hierhin geschafft hätten,
nirgendwo im Umkreis sei ein Hotelschild zu sehen.
Nun,
dafür entschädigt uns bald der Charme dieses in einem historischen
Wohnblock neu eingerichteten 4-Sterne-Hotels; im andalusischen Stil
erbaut, hat es individuell möblierte Zimmer, umlaufende
Galerien und zudem farbige Glasdächer über den Innenhöfen
aufzuweisen.
Nach
einer Erholungspause erkunden wir die Umgebung des Hotels und stoßen
sogleich an der Plaza del Carmen auf Granadas
Rathaus,
dessen Dach eine
frappierende
Reiterskulptur zeigt: Mit verbundenen Augen hält der nackte Reiter
eine große goldene Kugel in der Rechten, derweil sein Pferd mit zwei
Hufen die Balance auf zwei Goldkugeln hält. Diese allegorische
Bronzestatue, so ist später zu lesen, heißt ‚Der
präzise Augenblick'
(‚El
instante preciso')
und wurde von Ramiro Megías López nach einem Gemälde
von
Pérez Villalta
gefertigt.
Dieser prekäre Moment der Glückserfüllung ist gleichsam einen Tick
weit anspruchsvoller als der klassische Kairos, „der rechte
Zeitpunkt” oder die beim Schopf zu fassende günstige Gelegenheit.
Das Zifferblatt der sicherlich zusammen mit der Skulptur angebrachten
Rathausuhr trägt ein entsprechendes Motto („Feliz quien ve sus
horas en dorado presente”). –
Das
Rathaus selber hat in einem Karmelitenkonvent aus dem 16. Jh. Platz
gefunden und dessen schönen Innenhof beibehalten.
Wir
durchstreifen danach den belebten, erst im 19. Jh. angelegten
Boulevard „Calle Reyes Católicos” und entdecken dort schon die
Haltestelle, von der aus morgen früh ein kleiner Sonderbus zur
Alhambra hochfahren wird. Denn es gilt, den recht schmalen
„time-slot” gegen 7h 30 einzuhalten.
Jetzt
wie auch an den beiden folgenden Abenden sitzen wir noch beim Wein
auf dem halb verborgenen Zimmerbalkon und schauen hinunter auf das
späte Treiben in unserem Gässchen. Zu sehen ist, wie beim
Straßenrestaurant ein Mädchen mit zwei kleinen flüchtenden Jungen
den Stier spielt; und dass einige Angestellte der Stadt das Rathaus
erst nach 21 Uhr an der Rückseite verlassen; ferner, wie ein
Schwarzafrikaner mit seiner hellhäutigen Begleiterin nach 20 Minuten
von irgendwoher wieder zurückkommt und sie aufgebracht
beschimpft (ein gescheiterter Deal?); und dass kurz vor Mitternacht
sich ein kleines und wohl privates Straßenreinigungskommando
an die Arbeit macht ...
Wie
rasch doch – von diesem Hotelbalkon „Hesperia Granada” her
gesehen – der Abendstern schräg nach rechts hinunterfällt und
dann hinter einem Baukran verschwunden ist!
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