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Scheler hat die Tendenz der geistigen „Entwirklichung” al­so da­hingehend über­trieben, daß der Mensch, der sich aus der Natur „herausstellte” und dem die Wirk­lich­keit überhaupt annihiliert er­schie­nen wäre, an­ge­sichts der Entdeckung seines „nun welt­ex­zen­trisch ge­wor­de­nen Seins­ker­nes”20 vor die Alternative ge­stellt wur­de, entweder im religiösen Glauben Schutz zu su­chen oder sich im me­taphysi­schen Denken in ein Ab­so­lu­tes ein­zu­glie­dern. Eine solche Kon­flikt­lö­sung ist al­ler­dings gerade als gei­sti­ges Verhalten nicht ak­zep­ta­bel. Schon Schelers Wort vom mensch­li­chen „Geist” als dem „Neinsagenkönner” des Le­bens, der nicht nur al­le Um­welt­ver­hält­nis­se auf eine ver­sach­li­chen­de Di­stanz bringt, son­dern auch zur fortlaufenden Di­stan­zie­rung von der ei­ge­nen Tra­di­ti­on verpflichtet ist, er­kennt ja implizit die kon­sti­tuti­onel­le Fä­hig­keit an, auch die über­lie­fer­ten me­ta­phy­si­schen Bin­dungen in Fra­ge zu stellen und ab­zu­strei­fen. Da­durch an­ni­hi­liert der Mensch aber durch­aus nicht all seine Bindungen und Nor­men, wie im ni­hi­li­sti­schen Schock­sze­na­rio sug­ge­riert wird; selbst nach der Ver­ab­schie­dung eines Ab­so­lu­ten ist er nicht plötz­lich im Nichts zu ver­or­ten, son­dern hat weiter­hin eben in seinen „geisti­gen” Lei­stun­gen Be­stand, zu de­nen der Kom­plex der so­zia­len und ethi­schen Nor­men ge­hört. Frei­lich sind sie nun als aus­schließ­lich vom Men­schen gesetzte zu ver­ste­hen, als solche in ihrer Re­lati­vi­tät und in­di­vi­du­ell schwan­ken­den Ak­zep­tanz hin­zu­neh­men und bei Bedarf Mal auf Mal zu re­vi­die­ren.

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Sämtliche Werke. Kritische Studien­ausgabe, Bd. 3 (Mün­chen 1980), S. 480-482 (Apho­ris­mus 125). Vgl. ebda. die Aphorismen Nr. 108f. und 343f.

   Die biologistische Metapher vom „Tod” Gottes dürfte auf Hegel zu­rück­­ge­hen, der im Schlußpassus seines Aufsatzes Glau­ben und Wissen (1802) das neuzeitliche christliche Glaubens­gefühl cha­rak­te­ri­siert. Hegel spricht hier von dem „un­end­li­chen Schmerz, der vorher nur in der Bildung ge­schichtlich und als das Gefühl war, wor­auf die Re­ligion der neu­en Zeit be­ruht – das Ge­fühl: Gott selbst ist tot (dasje­nige, was gleichsam nur empirisch ausgespro­chen war mit Pas­cals Ausdrücken: ,la nature est telle qu’elle marque partout un Dieu perdu et dans l’homme et hors de l’homme’”. G.W.F. He­gel, Werke in zwanzig Bänden (,Theorie Werk­­­aus­­ga­be’), Bd. 2: Jenaer Schriften 1801-1807 (Frank­furt/­Main 1970), S. 432.

   Jenes Todesgefühl scheint sich in der Gegenwart weithin ver­flüch­­tigt zu ha­ben, und auch die späteren hysteri­schen Re­ak­ti­o­nen sind kaum noch be­obachten. Ja, Nietzsches Hoff­nung, „daß der Mensch sich so hoch erhebt, daß ihm die bis­he­ri­gen höch­sten Dinge, z. B. der bisherige Gottes­glaube, kind­lich-kin­disch und rührend erscheinen,” wirkt in­zwi­schen aus­ge­spro­chen klein­mü­tig, lernt man doch immer öfter auf­geweckte, religiös nicht in­dok­tri­nier­te Kinder ken­nen, de­ren zart sich heran­bildendes Welt­bild bei aller über­schie­ßenden Phantasie keinen Platz mehr für ein mitwir­ken­des gött­li­ches We­sen hat. (Das Nietzsche-Zitat ent­stammt seinen “Nachgelassenen Fragmenten“ vom August – Sep­tem­ber 1885; in: Sämtliche Werke, a.a.O., Bd. 11, S. 627.)

20 Scheler, a.a.O., S. 89f.

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