Home
Impressum
Ruth Fleigs Galerie
Schulkinder malen
Kritzel-Kratzel
Horst Fleigs Texte
I  Philosophica
A ZUR ANTHROPOLOGIE
Sloterdijk-Habermas
Pico della Mirandola
Michel de Montaigne
J. G. Herder
Max Scheler
Helmuth Plessner
Rück- und Ausblick
B ERINNERUNGSBILDUNG
Schock der Rückkehr
Seel. Machtkämpfe?
Erinnerungsautomatik
Wuchernde Phantasie
Seel. Raumpositionen
Beschreibungsfehler
Darstellungstechnik
Kameradenbesuche
II  Reiseberichte
III Zu Wim Wenders
IV Film und Kindheit
V Mitschüler/Schulen


 

- 17 -

 


So waren es immer wieder nichtzünftige Denker und Schrift­stel­ler wie Goe­the und Ste­fan Zweig, die Mon­taig­nes gei­sti­gen und kul­tur­ge­schicht­lichen Rang erfaß­ten. Zweig, der erst in der Emi­gra­tion zu Mon­taig­ne hin­fand, erkannte in ihm ei­nen fernen vor­bildl­i­chen Schicksalsgenos­sen, der sich in der da­ma­li­gen bar­bari­schen Zeit der Religionskriege allein durch die Nichtbeteiligung im Rück­zug auf sich selbst be­haup­ten konnte. „Dieser Kampf Mon­taig­nes um die Wah­rung der inneren Freiheit, der viel­leicht be­wuß­te­ste und zäheste, den je ein geisti­ger Mensch geführt, hat äu­ßer­lich nicht das ge­ring­ste Pa­the­ti­sche oder Heroische an sich.”25 Zu­mal Mon­taigne nicht müde wird, auf die eigenen Ab­son­der­lich­­kei­­ten, In­­kon­­sequenzen und Schwächen hin­zu­wei­sen; wun­der­lich in ihrer so­zial isolie­ren­den Ten­denz schon die Er­zie­hung des Vierjährigen durch einen des Französi­schen un­kun­di­gen deut­schen Leh­rers, der mit ihm über zwei Jahre hin nur La­tein sprach, was noch verstärkt wur­de durch das vä­ter­li­che Ver­bot, in­ner­halb der Familie und in der weiteren dörflichen Um­ge­­bung Fran­zö­sisch mit dem Kna­ben zu spre­chen. Montaigne scheint diese Benachteiligung jedoch später eben­so zu ein­em men­ta­len Vorteil sub­li­miert zu haben wie sein schlech­tes Ge­dächt­nis, zu dem Ste­fan Zweig in sei­nem bio­­gra­phi­schen Frag­ment anmerkt: „Diese Schwä­che … ist in Wirklichkeit sei­ne Stär­ke. Sein Bei-­nichts-ste­hen­-bleiben, was ihn zwingt, im­mer weiter zu gehen. Nichts ist für ihn ab­ge­tan. Er sitzt nicht auf sei­­nen Er­fah­­run­gen, er erwirbt kein Kapital, von dem er zehrt, son­dern sein Geist muß es sich im­mer wei­ter erobern. So wird sein Le­­ben ein stän­diger Er­neue­rungsprozeß … Im­mer ein ande­rer im­mer der­­sel­­be.”26

 

Für die Renaissancehumanisten Pico della Mirandola und Michel de Mon­taigne sind es allein ethische Nor­men, die dem freien selbst­­ver­­ant­­wort­li­chen Individuum über die nunmehr drohende Orien­­tie­­rungs­lo­sig­keit hin­weg­helfen und ihm aller­erst eine Le­bens­füh­rung erl­auben. Während Pico noch ver­all­ge­mei­nernd von „uns” redet, auch wenn er den Menschen in seiner Indivi­dualität meint, sagt Mon­taig­ne öf­ter und entschiedener „ich” und spricht auch vom – frei­lich unergründlichen – „Ich selbst”. Eben­so strikt in­­di­­vi­­dua­li­­siert er das neue Prinzip der menschlichen Of­fenheit, in­dem er als letz­te Rich­tin­stanz die­ses selbstverant­wortlichen We­sens al­lein das persönliche Gewissen gelten läßt. Da nach sei­ner Le­­bens­­er­­fah­­rung je­der Mensch alle Men­schen gestalthaft in sich trägt, bleibt die Instanz des Ge­wis­sens nicht im Ban­ne beliebiger Prä­f­e­­ren­­­zen des ein­zelnen, son­dern kann als Entscheidung ei­nes ur­­teils­f­ä­­hi­gen Indivi­du­ums auch allgemein­ver­bind­lich werden.

-------------------------------------------------------------------------------

25 Stefan Zweig, Montaigne (6. Aufl. Frankfurt/Main 2005), S. 14

26 Zweig, a.a.O., S. 56f.          
Zurück
Top
http://www.fleig-fleig.de/