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FEHLER BEI DER ERINNERUNGSBESCHREIBUNG

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der evozierenden wie der evozierten Situation, läßt aber die an­deren Erinnerungsinhalte nur kunstvoll über­ar­bei­tet zur Erscheinung kommen: als sprachlich opulent arran­gierte Szenen und Schauplätze, die mit ei­nem Schla­ge, tatsächlich wie eine der auch in unserer Kindheit noch zu bestaunenden, in einer Ja­kobs­mu­schel em­bry­o­nisch verborgenen japanischen Szenerien, dann wundersam entfaltet als Texte vor ei­nem lie­gen.


Man müßte es daher einmal anders machen und für seine Erinnerungen, ins­besondere an die frühe Kindheit, ei­ne Beschreibungstechnik wählen, die nicht narrativ, sondern fragmentarisch ausgerichtet ist, in der sich die Sze­nen und Mo­men­te also unvermittelt einstellen können, sinnindifferent bleiben dürfen und sich auch als un­ent­zif­fer­bar wie­der schließen könnten. Nur so, begleitet von ei­ner typographisch abgesetzten Kom­men­tar­spra­che, die sich aus der Perspektive des Erwachsenen auch verbor­genen Motiven und Strukturen zu wid­men hät­te, könn­te man sich ungestört, ohne auf szenischen Zusammenhang und Plausibilität Rücksicht neh­men zu müs­sen, dem Ver­wischten, so oft fragwürdig Bleibenden und rätselhaft Poly­perspektivischen der Er­in­ne­run­gen zu­wen­den. Dabei emp­fiehlt es sich, für die besonders heikle Erfassung der Kind­heits­er­in­ne­run­gen nur das Prä­sens zu ge­brauchen. Wie man nach wenigen Selbstversuchen bemerken kann, schärft es in seiner auf­rei­zend pa­ra­do­xen Präsenzbehauptung den Sinn für all das, was aus der Per­spek­ti­ve ih­res er­wach­se­nen Ver­fas­sers ein­zufließen droht. Der Gebrauch des Präteritums schläfert einen hier­bei viel zu leicht ein, gerade der da­durch ein­ge­stan­de­ne (zeitlich-)geistige Abstand läßt viel eher Vokabular und Ur­teilsvermögen aus der spä­te­ren Zeit ein­flie­ßen – eine mentale Distanzie­rung, die erklärt, wie­so ich um­ge­kehrt das Präteritum un­will­kür­lich im­mer dann verwenden möchte, wenn ein mir besonders un­an­ge­neh­mes Er­leb­nis zu schildern ist.


Was wäre noch bei der sprachlichen Wiedergabe von Kindheitserinnerungen zu beachten? Als Beispiel für eine se­ri­el­le Er­in­ne­rung, die auf oft wiederholten Aktivitäten beruht und entspre­chend vage oder wie ent­leert er­schei­nen kann, rufe ich eine Ortserinnerung aus der Zeit um 1955 auf, als ich ungefähr zehn war. Und zwar den Hof­ein­gang zur Woh­nung meines Spielka­meraden Wolfgang, un­gefähr 200 Meter vom Hause meiner Groß­el­tern ent­fernt:


Der Hofbereich mit der Hintertür des Hauses ist aus etwa zehn, zwanzig Me­tern zu sehen, zusammen mit den dunk­len Massen der links und rechts an­grenzenden Häu­ser. Mein Blick konzentriert sich sodann unwillkürlich auf Tür und Stein­trep­pe, nun aus wenigen Metern Entfernung betrachtet, wobei sich jetzt leb­haftere Szenen einstellen: wie wir näm­lich auf der Trep­pe Karten spielen (,Siebzehn und vier’, fällt mir dabei ein), wie wir dort sitzend Co­mics lesen – wobei ich weiß, daß ich hier anhalten und mir mögliche Serientitel vergegenwärtigen könnte – oder wie wir dort nur sitzen und darauf warten, daß Wolfgang end­lich mit dem Essen fertig ist.


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