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FEHLER BEI DER ERINNERUNGSBESCHREIBUNG

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Zim­mer zeigt, den fixen Photocharakter mit einer Lupe zu überlisten, die Distanz des Be­trach­ters auf­zu­he­ben sucht, in­dem man in langsamer schwan­ker Lupenfahrt all­mählich das Gefühl einer räumlichen Anwesenheit im einst Pho­to­gra­phier­ten ge­winnen kann?


Wäre die Annäherung in der Erinnerung nur so ein­fach! Der Blick durch die Lupe vermag zwar auf Augenblicke die Rahmung des Bildes und die Geschlossenheit des Ensembles zu verdrängen und so den Details ein Ei­gen­le­ben zu verleihen, den Charme des lange unberührt, ja seit eh und je unbeachtet Ge­bliebenen, läßt da­bei aber das Bild­motiv sichtlich in­takt und stellt sich nur in der Tiefenschärfe von Detail zu Detail neu ein. Beim Er­in­nern da­ge­gen – besonders an die Kindheit – finden wir oft nur ver­schwommene, verwischte, trübe oder fast zur Un­kennt­lich­keit verblaßte Bil­der und Szenen in uns vor. Um sie festzuhalten und mitteilbar zu ma­chen, ist statt der Lu­pe das unendlich komplexere Kunstmit­tel der Sprache einzusetzen, die das Er­in­ne­rungs­bild und -emp­finden dabei mas­siv überarbeitet und durch Wortwahl und Syntax aus dem Ver­schwim­men­den un­versehens etwas Fest­umrissenes macht. Dieses wird sodann erneut dadurch verändert und un­vor­her­seh­bar zer­streut, daß es als sprachlich Formuliertes über­setzt werden muß in das individuelle Vor­stel­lungs­ver­mö­gen des Lesers – und zu den Lesern kann schon bald der Verfasser der Er­in­ne­rungs­be­schrei­bung selbst gehören, ist er doch nicht selten geneigt, diesem schon Ausformulierten mehr zu trau­en als sei­ner spä­teren Erinnerung, die genau so authentisch ist, aber eben schon stärker verblaßt sein dürf­te.


So weit ich sehe, gibt es noch keine Untersuchungen dazu, was bei der Wie­der­gabe von Erinnerungen zu be­ach­ten ist oder welche Beschreibungsformen erst noch zu entwickeln wären. In empirischen psy­cho­lo­gi­schen Stu­di­en wird wohl gezielt etwa nach dem Einfluß der Stimmungen auf das Gedächtnis ge­forscht, nach Er­inne­rungs­stra­te­gien, den (Re-)Kon­struktionsleistungen des Erin­nerns und allenfalls nach gän­gi­gen sprach­li­chen Mu­stern bei der Erinne­rungsela­boration gefragt, nicht aber danach, was schon die münd­li­che oder schrift­li­che Wie­der­ga­be aus dem Be­wußtseinsinhalt ,Erinnerung’ macht und inwiefern des­halb je­der Be­frag­te sich zu­vor noch über sei­ne Beschreibungssprache Klarheit zu verschaffen hätte. Auch die Au­to­bi­o­gra­phien von Li­teraten sind hier durch­weg unsensibel und verfälschen den Charakter von Er­in­ne­run­gen, indem sie dar­aus, nach al­len­falls sto­ckendem Beginn für die früheste Kindheit, sehr bald schon flüs­si­ge Er­leb­nis­be­rich­te und ur­teils­si­che­re Darstellungen machen. Im Grunde wollen sie ja auch nicht jene oft un­deut­li­chen, sich rasch ver­flüch­ti­gen­den oder offenbar in einer späteren Perspektive überarbeiteten Er­in­ne­rungs­sze­nen und -bil­der als sol­che wie­der­ge­ben, sondern die mehr oder min­der kämpferische, je­denfalls pro­fi­lie­ren­de Be­we­gung eines Le­bens­laufs in­mitten seiner Zeit schil­dern. Selbst unser dichterischer Genius des Sich­er­in­nerns, Mar­cel Proust, der wie in Trance stundenlang unbeweglich vor einem verheißungsvollen Ob­jekt oder in ei­ner be­stimm­ten Kör­per­hal­tung ver­harren konnte und auch deshalb wie kein anderer das körpergebundene Auf­steigen der Erinnerung ins Bewußtsein festzuhalten vermochte, beschreibt zwar noch minuziös die (beseligenden) Emp­findungsinhalte


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