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Montaigne war auch darin bahnbrechend, daß er – schon aus er­kennt­­nis­theoretischen Gründen – kei­ne hierarchische oder fun­da­men­tale Diffe­renz zwischen Tier und Mensch mehr gelten ließ. Er ver­trat gar die Ansicht, „zwischen manchen Men­schen sei der Ab­stand grö­ßer als zwischen man­chem Men­schen und manchem Tier”.9 Die Gottesebenbildlich­keit, die der Mensch sich ei­tel an­ge­maßt hät­te, wä­re auf ei­ne Degra­dierung des Tieres hin­aus­ge­lau­fen; und die Klage, das ver­lassenste aller Le­be­we­sen zu sein, das sich in seiner Not­durft der Felle und des Fleisches der Tiere be­mäch­­­ti­gen müs­se, war für ihn ei­ne glei­cherma­ßen sentimentale wie heimtücki­sche Über­treibung.10 Was nun aber die an­geb­lich al­lein dem Menschen vorbe­haltenen höheren Fähigkeiten betrifft, so führt Mon­taig­ne ei­ne Rei­he von Bei­spielen dafür an, daß sich die Tie­re auf ihre Weise ebenfalls einsichtig zeigen und gleich­falls Tu­­gen­­den wie Treue, Dankbarkeit, Hilfsbereitschaft, Reue und so­gar einen reli­giösen Sinn an den Tag le­gen.11 Daß Be­wußt­heit, Re­fle­xions­­kraft und vor allem das die Gegenwart trans­zen­die­rende Vor­stel­lungs­ver­mö­gen den Menschen vor dem Tier aus­zeichnen, steht auch für ihn außer Fra­ge, doch er­kennt er dar­in ei­ne neue Quelle menschl­ichen Unbeha­gens und Lei­dens. „So sind wir nie­mals bei uns, wir sind stets au­ßerhalb. Furcht, Ver­lan­gen und Hoffnung schleu­dern uns der Zu­kunft ent­ge­gen und be­rau­ben uns des Ge­fühls und der Wert­schätzung dessen, was ist”.12


Das Ich selbst, der uns nächste und verläßlichste Erkenntnisge­­­gen­­­stand, bietet der Intro­spektion zwar keinen absoluten Halt und zeigt sich, kaum anders als die in ihrer Polyphonie fas­zi­nie­ren­de Kul­­tur- und Gei­stesgeschichte, als ein ständig und im Letz­ten un­be­greiflich sich Verändern­des.13 Kei­nes­wegs aber läuft die­ser in­tro­spektive Relati­vismus auf einen Solip­sismus hin­aus, im Ge­­gen­teil, der in der Selbst­er­for­schung Ge­üb­te erweist sich als fähig, die an­de­­ren weit bes­ser zu verstehen und, zu de­ren Über­­ra­­­schung, nicht selten besser als sie sich sel­ber.14 Über­haupt hat der Rück­gang    

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9 Essais I 42, a.a.O., S. 394. Alle sozialen Rangabstufungen wa­ren für ihn je­doch „bloß Äu­ßerlichkeiten, die in keiner Wei­se einen We­sens­un­ter­schied zwi­schen den Menschen begründen” (a.a.O., S. 397).

10 Essais II 12, a.a.O., S. 192f.

11 II 12, S. 197-210. Montaigne fragt hier etwa, ob das Verhalten ei­nes Fuch­­ses, der vor der Überquerung eines zu­ge­fro­re­nen Flus­ses prüfend sein Ohr ans Eis hält und et­waige Schwachstellen an den Fließgeräuschen identifiziert, nicht ei­­ne schluß­fol­gernde Denk­fä­hig­keit verrate; wie auch ein Hund, der auf der Su­che nach sei­nem Herrn an einer Drei­we­ge-Ga­be­lung zwei Wege ab­schnüf­felt und danach, ohne weiter Witterung aufzunehmen, un­verzüg­­lich in den dritten Weg stürmt. „Wir kön­nen auch sagen, daß die Elefan­ten ei­ne Art religiöses Ge­fühl haben, denn man sieht sie nach wie­der­hol­ten Wa­schun­gen und Rei­ni­gun­gen, den Rüssel wie Arme hoch­er­ho­ben und die Augen fest der auf­ge­hen­den Sonne zu­ge­wandt ... aus ei­ge­nem An­trieb lange in Meditation ver­sunken da­­stehn” (a.a.O., S. 210). - Den Leug­nern der Ver­wandt­schaft des Men­schen mit dem Tier gibt er Folgendes zu bedenken: „Nachdem man sich in Rom an das Schau­spiel des Hin­met­zelns von Tie­ren ge­­wöhnt hatte, kamen die Menschen an die Reihe, na­mentlich die Gla­dia­­to­ren.” Essais II 11, a.a.O., S. 160

12  I 3, S. 24   13 II 12, S. 354-359   14 III 13, S. 457

 


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