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BILDER FONTANES GEGEN DEN TOD. SCHACH VON WUTHENOW

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Bildquelle: www.neh.gov/humanities/2012/marchapril/feature/ungoverned-passion


Wie schon in 'Grete Minde' und entschiedener in 'L'Adultera' wird auch hier die religiöse Sphäre und Disposition überspielt von einem eigensinnig abweichenden Lebensgefühl, das sich erst heranbildet und bis auf weiteres zu überwintern60 hat. Das gewissermaßen noch embryonische Zeitverhältnis kommt in seinem autobiographischen Kern für Fontane deutlicher zur Erscheinung, wenn nun auch die letzten hochzeitlichen Stationen im Leben Schachs energisch zurückgewendet werden zu der Wuthenower Nacht des Heimfindens und einer möglichen Wiedergeburt. Wenn nämlich in dem Kapitel "Fata Mor­ga­na" Frau von Carayon vor der geplanten Hochzeitsreise von einer Rivalität zwischen Venedig und Wuthenow spricht ("Die La­gunen hätten sie gemeinsam und die Gondel auch, und nur um eines müsse sie bitten, daß der kleine Brückensteg unterm Schilf, an dem die Gondel liege, nie zur Seufzerbrücke erhoben werde"), dann malt Schach dieses Bild in seiner hoch­zeit­li­chen Phantasie weiter aus, sich vorstellend, wie er vielleicht als ein zweiter Odysseus der Meeresstelle zustrebe, "wo die bilderreiche Fee wohne, die stumme Sirene", und zwar genau dort, wo der afrikanische Erdteil sich als "Laterna ma­gi­ca"-"Spiegelung" mit dem gegenüberliegenden europäischen treffe.61 Mit dieser Vision seines Reiseziels hat Schach ins­ge­heim erneut Kurs genommen auf die See-Stelle zwischen Wuthenow und Fontanes Geburtsstädtchen Neuruppin. Und nimmt bei seinem faktischen Freitod dann ja förmlich, in der aufrechten Sitzhaltung und im dichten Qualm der Kutsche, die Position im Mutterleib ein.

   Für Schachs Tod überlagern sich somit seine persönlichen Motive, kollektive Zeitbezüge und ein selbstreferentielles In­ter­esse des Autors. Schach selbst weicht vor einer nur noch als zudringlich empfundenen Gegenwart aus, was vorbereitend und nachbetrachtend aus der Perspektive einiger Zeitgenossen mehr oder minder treffend kommentiert wird. Schachs Be­kenntnis zur ritterlichen62 ebenso wie zur protestantischen Blütezeit nimmt der Erzähler auf seine Weise auf, letzteres mit 

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60 Was sich im 2. Kapitel "Die Weihe der Kraft" andeutet, wenn Victoire, von Schach am Klavier begleitet, das Lied aus Za­cha­ri­as Werners Luther-Drama singt: "Die Blüte, sie schläft so leis und lind| Wohl in der Wiege von Schnee ... " (N II, 282f.)

61 N II, 376f. Die Sirenen pflegten auch die neu in der Unterwelt Eintreffenden zu empfangen: "Die Bitterkeit des To­des wird durch ihre Kunst gemildert und verwandelt." Karl Kerényi, 'Die My­thologie der Griechen'. Band 1: 'Die Göt­ter- und Men­schen­ge­schich­ten' (München 22 2001), S. 50f. – Wenn später auf dem Hochzeitsbankett der Kon­sis­to­ri­al­rat Boc­quet in sei­nem Toast das Rei­se­ziel in der Nähe des "ägyptischen Wundervogels" an (N II, 378) an­sie­delt, dann dürfte damit nicht – wie bis­lang meist ver­mu­tet – der Ibis gemeint sein, sondern der Phönix (und somit wie­der­um ver­steckt auf Schachs Suizid und Wie­der­er­ste­hung an­ge­spielt werden).

62 "Schach ist wie Don Quijote ein nachgeborener 'Ritter', ein scheiternder Befreier und wahn­hafter Beglücker". Hugo Aust, 'Theo­dor Fontane. Ein Studienbuch' (Tübingen und Basel 1988), S. 90. Was nicht ausschließt, daß Schach als Trä­ger des höch­sten rus­si­schen Ordens auch soldati­sche Tugenden aufzuweisen hat (vgl. N II, 312 zu seinem An­dre­as­kreuz).


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Die Salonnière Henriette von Crayen (1755-1832),
das historische Urbild der Frau von Carayon
Gemälde von Anton Graff (um 1783)
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