In der Regel jedoch
ist es die bewußte, uns ohne weiteres zugängliche Erinnerung,
in der die Geschichtlichkeit und personale
Integrität auch unserer Körpererfahrungen
bewahrt bleibt. Unvergessen als Körpergefühl sogar
einige elementare Kulturtechniken des
Kindes: wie mit bestimmten Kleidungsstücken umzugehen
war und wie sie „sitzen” (mußten); das Anstecken eines
Haarklämmerchens; erste künstliche
Bewegungsabläufe wie das Barfußfahren auf dem Dreirad,
das erfinderische rhythmische Mitwippen auf dem
Kindersitz des Fahrrads, das Halten der Balance
beim Erlernen des Fahrradfahrens. Auch weiß ich noch, wie eine
erste einfache Reflexion einer
Körperbewegung entstieg, beim Gehen, als ich meine Arme
überkreuz im Takt mit den Beinen schwingen ließ.
Psychobiologisch
Sinn machen dürften sogar die vielen banalen und gleichgültig
lassenden Gedächtnisinhalte, diese
eigentlich irrelevant gewordenen Ortskenntnisse,
all das Detailwissen um längst überholte technische
Abläufe sowie Erinnerungen an
x-beliebige Leute. Denn sie versichern uns unserer
Dauer bei ständigem Wechsel in Raum und Zeit,
unserer Beharrlichkeit trotz der immer wieder
fälligen Loslösung und Distanzierung.
Auch sie spielen hinüber ins Geistige, dokumentieren
gewissermaßen noch in den Umrissen unsere
Umgebung und den Radius unserer
Aktivitäten und führen uns gar, gerade in ihrem ärgerlich
banalen Grundcharakter, die eigenen
Abhängigkeiten mitsamt unseren
desinteressierten und wenig inspirierten
Reaktionen noch einmal vor Augen – ob
nun als Stachel oder nur als Symptom der von uns vertanen
Lebensmöglichkeiten.
Es gibt da
allerdings eine letzte Grenze des Erinnerns und all seiner
Selbst-Erweiterungen, eine unauflösbare und allgemeine
Identitätsproblematik: Ein jeder
„besitzt” immer unendlich mehr Erfahrungen und Kenntnisse, als
ihm je wieder bewußt werden könnten. In der Begegnung
mit meinem wie verschütteten Ichphantom stand dies als
Provokation und Ahnung zu Beginn dieser Recherche; und
erscheint in verwandelter, selbstbewußter
Gestalt an ihrem Ende wieder, als Einverständnis damit, daß –
nach gehöriger Erinnerungsarbeit
freilich – der Großteil dessen, was im Gedächtnis
verwahrt ist, gleichwohl der willkürlichen Erinnerung
unzugänglich bleibt.
Am
drastischsten erfuhr ich es dort, wo etwas nur dank gewisser
Hilfsmittel oder auch nur zufällig wieder heraufgerufen
wurde. Während ich mir in der freien Erinnerung an eines
meiner Lieblingsmärchen, Andersens ‚Seejungfrau’,
kaum noch das dürre Handlungsgerippe
bewußt machen konnte oder von G. Sidneys Film ‚Die
drei Musketiere’ nur
noch zwei Szenen anzugeben wußte, war beim Wiederlesen
und -betrachten festzustellen, daß ich nach
Jahrzehnten noch mit Dutzenden von Teilformulierungen
und vielen Einzelszenen vertraut bin. Daß diese
Diskrepanz aber für so ziemlich alles Erlebte
gilt, belegten vor allem die zufällig erhalten
gebliebenen Tagebuchaufzeichnungen
des bald Zehnjährigen (von Ende Oktober 1954 bis Februar 1955).
An kaum ei-