zwar
die individuelle Freiheit als
außersoziale Privatheit retten wolle,
aber gerade dadurch den „antigesellschaftlichen
Affekt” des Individuums so sehr
verstärke, daß es den Kontakt zur sozialen
Realität verliere, „jede Möglichkeit
gesellschaftlicher Verwirklichung. Die
Freiheit muß eine Rolle
spielen
können,und
das kann sie nur in dem Maße, als die Individuen ihre
sozialen Funktionsleistungen nicht als eine bloße Maskerade
auffassen, in der jeder dem anderen in
Verkleidung gegenübertritt.”27
Plessner selber wählt eine andere
terminologische Bestimmung für den
Menschen, eine, die seine
erkenntnistheoretische Scheu vor
der Festlegung des menschlichen Wesens28
auf den Begriff bringt: ,Homo absconditus’.
„Als
ein in der Welt ausgesetztes Wesen ist der Mensch sich
verborgen – homo
absconditus.
Dieser ursprünglich dem unergründlichen
Wesen Gottes zugesprochene Begriff trifft die
Natur des Menschen.”29
Unergründlich ist er für andere wie für sich selber
und weiß zudem um seine „Verborgenheit”.
Das Theorem der Unergründlichkeit des
Menschen, dieser „Nachtseite seiner Weltoffenheit”30,
verlangt von einer Philosophischen
Anthropologie wie der Plessnerschen
eine besondere Aufgeschlossenheit
für alle nur erdenklichen Möglichkeitsformen
und Selbstentwürfe des Menschen, geistige wie
sozialpolitische,31
und schärft so methodisch die Urteilskraft ebenso
für die konstruktiven Formen menschlicher
Selbstüberschreitung wie die einer drohenden
Selbstzerstörung. Schon in seinem frühen Hauptwerk
Die
Stufen des Organischen und der Mensch
zitiert
Plessner den Gedanken, daß die auf Erden
existierende biologische Ausprägung
des Menschen nicht die einzig mögliche ist: „Mensch
sein ist an keine bestimmte Gestalt gebunden
und könnte daher auch (einer geistreichen
Mutmaßung des Paläontologen
Dacqué zu gedenken) unter mancherlei
Gestalt stattfinden, die mit der uns bekannten nicht
übereinstimmt.”32
Jahrzehnte
später
spricht er eine mögliche weitere, auf Darwin
folgende Kopernikanische
Wende an,
-----------------------------------------------------------------------
27
Soziale
Rolle und menschliche Natur (1960);
in: Diesseits
der Utopie. Ausgewählte Beiträge zur Kultursoziologie
(Düsseldorf/Köln
1966), S. 23-35
(Zitat S. 34f.)
28
Über
Menschenverachtung,
a.a.O., S. 115f.
29
In dem Aufsatz Homo
absconditus,
a.a.O., S. 365
30
a.a.O., S. 359
31
Sozialpolitisch noch am ehesten respektiert wird für Plessner
diese „Scheu vor einer Fixierung menschlichen Wesens und
seiner Bestimmung in einem nicht mehr revidierbaren
Sinne“ in einer „pluralistischen
Gesellschaft, d.h. einer Gesellschaft offen
miteinander
konkurrierender Wertsysteme”. In:
Über
einige Motive der
Philosophischen Anthropologie,
a.a.O.,
S. 128
32
Die
Stufen des Organischen,
a.a.O., S. 293
- 54 -