Der
Bus bringt uns zurück nach Luoyang, von wo aus wir mit dem Zug rund
400 km weiter nach Xian fahren. Nach dem Einsteigen kommt
es zu einem kleinen Eklat, als wir im vollbesetzten
Abteil die für uns reservierten numerierten Plätze einnehmen
wollen, diese aber schon von chinesischen Passagieren
belegt sind. Eine Schaffnerin beginnt sogleich für die Freigabe
der Plätze zu sorgen, was sich aber eine Frau mittleren Alters so
nicht gefallen lassen möchte. Obgleich ihr Begleiter
sie zum Weggehen auffordert, beginnt sie einen jungen
Mann von uns mit ihrem Hinterteil Stück um Stück weiter beiseite
zu schieben und behält danach längere Zeit
ihre nicht eben bequeme Position neben ihm bei. Womöglich
kannte sie die Reservierungsbestimmungen
nicht und wollte sich von uns Langnasen nicht so einfach
deklassieren lassen.
Drängeln,
Schubsen
oder auch Anrempeln ist hier im übrigen verbreiteter als in
westlichen Zivilisationen. Die eine oder andere unserer mitreisenden
Damen wurde zu ihrer Überraschung gar von einem
chinesische Mann unsaft zur Seite gedrängt. Männer ungefähr ab 50
Jahren pflegen ihre für uns oft griesgrämige Miene
auch bei solchen Zwischenfällen beizubehalten,
bei denen unsereins eher lächeln oder sich mit einer Floskel
entschuldigen würde.
Erst nach gut 5 1/2
Stunden, während denen auch einmal längere Gespräche mit
Mitreisenden unserer Gruppe zustande kommen, trifft unser Zug in der
Dunkelheit in XIAN
ein. Die älteste Reichshauptstadt Chinas wurde in jüngerer Zeit
wieder weltweit bekannt durch das in ihrer Nähe gelegene Mausoleum
und die Terrakotta-Armee des ersten chinesischen
Kaisers Qin Shihuangdi. Wir werden diese Ausgrabungsstätte
morgen früh besichtigen.
Reichshauptstadt war Xian
nicht bloß während der kurzlebigen Qin-Dynastie (221 bis 207
v.Chr.), vielmehr auch unter den Han sowie, nach Unterbrechungen,
wieder bis zum Ende des 10. Jh. unter den Tang. Während
dieser Dynastie wurde Xian alias Chang'an
im 8. Jh. zur Millionenstadt und neben Bagdad zur größten
Stadt der Erde. Die von hier ausgehende und sich mehrfach
verzweigende Handelsroute der "Seidenstraße", die in
ungefähr 18 Monaten bis Venedig führte, hatte
kosmopolitischen Rang. Sie verband das Reich der Mitte nicht nur
handelspolitisch mit Bagdad und dem fernen Westen, sondern
öffnete es vor allem auch für den Buddhismus und ein
halbes Jahrtausend später (Anfang des 7. Jh.) durch arabische
Kaufleute auch für den Islam. – Unser Hotel liegt im
muslimischen Viertel in der Nähe der Großen
Moschee, die ebenfalls zu dem Besichtigungsprogramm
gehört.
- 38 -