Für den Weg zum Südrand des Grand Canyon nehmen wir nun vom Hoover-Staudamm her die Route über Kingman und Williams. Von hier aus kann man für die letzten 100 Kilometer seit kurzem wieder mit der Eisenbahn zum Canyon anreisen, wie es in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts üblich war. Unser kleines Hotel liegt auf 2100 Metern in einem Pinien- und Wacholderwäldchen, das nur gut 500 Meter vom Südrand entfernt ist. Diese „Yavapai-Lodge”, benannt nach einem mit den Apachen verwandten Indianerstamm, ist angemessen bescheiden, allerdings deutlich kostspieliger als eine Übernachtung im „Caesars Palace” oder „Westin Bonaventure” in Los Angeles. Bald nach unserer Ankunft zeigen sich nahe der Lodge einige Maultierhirsche, die so wegen ihrer auffällig großen Ohren heißen (vgl. das zum Eselhasen „Jack Rabbit” Angemerkte). Die beschwingte und aufbruchslustige Stimmung ringsum kenne ich so ähnlich nur von großen Pfadfinderlagern her.
In den folgenden Stunden und auch wieder am nächsten Morgen laufen wir am Fußweg des Südrands entlang. Einen Abstieg hatten wir uns schon bei der Reiseplanung aus dem Kopf geschlagen; er soll rund 7 Stunden dauern, wobei zur Talsohle hin die Hitze ständig zunimmt und in dieser Jahreszeit bis zu 49° Celsius betragen kann. So gehen wir jetzt einfach los und halten an einigen Aussichtspunkten wie dem Mather Point, von dem aus man ein Viertel des Canyons übersehen kann; auf der gegenüberliegende Seite liegt in 16 km Entfernung der Nordrand des Canyons.
Der Anblick dieser Canyonlandschaft ist nicht leicht zu begreifen. All die schwärmerischen Berichte und Fotos haben diese Sehenswürdigkeit ja beinahe unkenntlich gemacht. Um wieder Abstand zu den Bildklischees gewinnen, guckt man sich am besten vorher die Weltraumbilder der NASA an. Sie lassen unter anderem erkennen, dass es den Einen Großen Canyon so nicht gibt, sondern dass es ein verwirrend verrunzeltes Geflecht aus dem gut 430 km langen Hauptcanyon und vielen Nebencanyons des Colorado River ist, zu dem noch der Little Colorado River mit seinem gewaltigen Mündungscanyon hinzustößt. Warum erweckt das runzlige Antlitz eines uralten Menschen nicht einen ähnlich erschütternden Eindruck wie den, der dem Grand Canyon immer wieder nachgesagt wird, dass man nämlich von Bescheidenheit, Demut oder gar dem Gefühl der menschlichen Bedeutungslosigkeit durchdrungen werde? Merkwürdig, dass im Angesicht dieser Canyonlandschaft selten von dem Gefühl der Erhabenheit die Rede ist. Mit ihm setzt
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