FEHLER BEI DER ERINNERUNGSBESCHREIBUNG
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flüssiger
und klarer dar als in meiner Erinnerung. Zunächst wäre erneut
anzumerken, daß auch in diese Wiedergabe
Anachronismen und externe Informationen eingeflossen sind. Es
war zwar „Wellpappe”, doch kannten wir den Terminus
nicht, nur die Nutzbarkeit dieser Pappe fürs Einstecken von
Gänsefedern. Die Zwille hieß bei uns „Fletsche” und das
Tomahawk wohl noch „Indianer-” oder „Kriegsbeil”. Daß
es aus Holz war, stimmt, spielt jedoch in meiner szenischen
Erinnerung keine Rolle, versteht sich dort gewissermaßen von
selbst. Doch sind dies soweit nur Ungenauigkeiten bei der
Wortwahl, die leicht zu korrigieren wären. Anders die starke
Anschaulichkeit, die vor allem durch den Gebrauch
von Substantiven suggeriert wird. So dürfte ich eigentlich nicht
einmal von einem „Beil” sprechen, denn ich sehe es nicht mehr,
sehe nur noch schemenhaft die wilden Schlagbewegungen – weiß
freilich, daß sie mit meinem Beil ausgeführt werden. Auch kann ich
nicht erkennen, daß „wir” da stehen, habe nur das Gefühl, daß
mehrere „von uns” sich in unmittelbarer Nähe befinden. Und
eine weitere unscheinbare Gedankenlosigkeit: Der Garten, der da kaum
beachtet in unserem Rücken liegt, ist nicht der „meiner
Großeltern”, sondern der von „Oma und Opa”. Mit dieser
kindlichen, mich immer noch fröhlich und erleichtert stimmenden
Anredeform verändert sich mir auch dieser Garten selbst, gewinnt
etwas von einem Refugium und macht zugleich darauf aufmerksam,
daß sich ausgerechnet diese Gartenszene als Ausgangsbild der
Kampfaktionen festgesetzt hat (von der ganzen Vorgeschichte ist
mir nichts mehr erinnerlich).
Was
also tun? Neue Beschreibungsformen für diese weithin schemenhaft
bleibenden Vorgänge entwickeln, für das vage Raum- und Selbstgefühl
und die meist nur partiell einzulösenden Wortbedeutungen? Wäre das
nicht übertrieben? Ist es nicht eher so, daß bei der
Wiedergabe von Erinnerungen einige fundamentale
Unzulänglichkeiten der Sprache nur
besonders kraß hervortreten? Wird nicht schon syntaktisch durch
die Zuordnung von Subjekt und Prädikat sowie
semantisch durch die immer nur mehr oder minder fest umrissenen
Bedeutungsinhalte der Wörter ein von
vornherein widersprüchliches Gebilde vorgelegt, das sich
wohlgeordnet gibt und auf das gleichwohl die Vorstellungskraft eines
jeden Lesers anders ansprechen muß? Und ist diese doppelte
Ungenauigkeit nicht der Preis für eine weithin
mögliche Allgemeinverständlichkeit? So daß man die besonders
sinnfällige sprachliche Brutalität bei der
Wiedergabe von Kindheitserinnerungen allenfalls durch eine
„perspektivisch” bewußte Darstellungsweise
dämpfen könnte? Reflektiert und schlicht zugleich hätte ihre
Sprache zu sein, müßte sich vor allem im Vokabular
und auch im Satzbau auf die mentale Einfalt der erinnerten
Lebenszeit und deren Vokabular einlassen. Dies um so
inniger, als die weithin verklungenen Bezeichnungen, etwa
die wechselnden kindlichen Anredeformen für die
Eltern, ihrerseits eine erinnerungsträchtige Magie bewahrt
haben dürften.
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