FRÜHKINDLICHE RAUM- UND SPIELPOSITIONEN NOCH BEIM ERWACHSENEN -------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
zu geraten, mit den
üblichen Vorstellungen von Überlieferung und Traditionsbildung
verträgt. Diesen Fragen ging ich 1975 in einer kleinen Studie nach,
die das zeitüberschreitende Potential solcher Werke, ihren
verkappten Todestrotz und zuletzt auch den
metaphysischen Rang der Erinnerungsthematik verfolgte (vgl. S.
xxxxx).
So
war denn meine erste Rückkehr 1976 ein noch unsicherer und nur
probeweise getaner Schritt, dem Vergessenen und
Übersehenen nicht nur wie bis dahin durch
literarhistorische Studien beizukommen, sondern das schleichende
Sichfremdwerden und Sichhinwegsterben als menschliches
Lebensschicksal auch für die noch relativ kurze
eigene Geschichte zu verfolgen und dagegen vielleicht
besser gewappnet zu sein. Wieviel schon damals
verlorengegangen oder wie verschüttet war,
zeigte jener Schock angesichts des Klingelschilds. Wieviel
noch anonym weiterlebte, empfand ich eher beim
Anblick der wie verwunschen daliegenden – da seit langem vom
Hochwasser bedrohten – Rheinwiesen, deren alte
ächzende Weiden mich „fröhlich beklommen” machen
konnten. Und wie tyrannisch sich die einmal verfestigten
Erinnerungsbilder und bahnen gegen neue Eindrücke zu
behaupten suchen, registrierte ich schon in den folgenden
Wochen. Doch erst Mitte der 80er Jahre nahm ich
entschlossener die Spurensuche und sicherung für
meine Kindheit auf, zunächst überwiegend durch Photographieren
der Örtlichkeiten, später verstärkt durch Besuche bei
Altersgenossen und auch ehemaligen Lehrern.
*
Abgezeichnet
hat sich bei meiner Erinnerungssuche bisher eine innere
Verwandtschaft zwischen der im frühkindlichen
Spiel geprägten Orientierung im Raum, zwischen Grundformen des
Sozialverhaltens sowie spät erst entfalteten
Interessen, Denkmustern und Problemstellungen. Zu erkennen gibt
solch verdeckte Verbindungslinien
zwischen unseren verschiedenen Lebensphasen niemals die
episodisch sich zerstreuende Erinnerung, sondern
nur das strukturbewußte, rekonstruierende Sicherinnern,
das (halb-)vergessene und nie recht verstandene
Situationen oder Beziehungen erkundet und mit anderen verknüpft. Es
könnte zu einem Gegenmittel sowohl gegen den
Zerfall als auch gegen die Erstarrung unserer Lebensgeschichte
werden. Dies nicht allein dank der gewonnenen
Einsichten, sondern auch als mögliches neues Verhaltensregulativ.
Bewußt zu verstärken in ihrer stabilisierenden Kraft
wäre in meinem Fall – und gewiß nicht nur in meinem – vor allem
die Einstellung, daß vieles nur aus der schützenden
Distanz heraus zu betrachten und zu erforschen ist. Hingegen
hätte man sich einige der zur Isolation neigenden
Raumpositionen wieder abzugewöhnen, die eingeschliffenen
Erinnerungsbahnen probeweise zu verlassen und sich auch den
Zwangscharakter uns liebgewordener Denkfiguren
klarzumachen.