ZU PROUSTS ,ICH IN MIR’
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und uns dadurch
eine zeitüberschreitende Existenz gewinnen ließen? So
sehr ich auch auf solche Signale achtete und mir
vor allem die phantomhaften Selbstbegegnungen und
Alter-ego-Erscheinungen erst einmal in diesem Sinne
zurechtzulegen suchte, so wenig hielten sie doch als
eigenständige ‚Ich’-Gebilde Stand, sofern das Wort ‚Ich’
eine urteilsfähige, wache und selbstbewußte
Existenz(-form) bezeichnen soll. Gewiß war so
mancher wiederauftauchende Impuls
einst ichhaft organisiert, doch organisiert er sich nicht mehr
so, schwebt versprengt und wie abgestorben in
uns, stößt zwar, unwillkürlich oder von uns aufgespürt,
irritierend und belebend ins Bewußtsein,
aber längst ohne eigene Intention, ungesteuert. Unsere Empfindung,
es sei da eine eigenständige Kraft, dürfte
sich allein unserer gegenwärtigen Lebendigkeit verdanken,
unserer Beeindruckbarkeit ebenso wie
unserem Erkenntnisverlangen,
wodurch wir jedes Objekt zunächst als ein uns Widerstreben-
des oder Sichentziehendes erfahren – und dies im erhöhten
Maße bei Eindrücken, die uns in der Erinnerung
entgegentreten und insofern nun wirklich
‚Ich’-Abkömmlinge sind.
Außerdem
hatte sich, wie meine Analysen der Erinnerungsbildung und
gelegentlich verwunderten Kommentare
fortlaufend belegten, vieles nichtbewußt in mir
organisiert. Hierfür eine eigene seelische Instanz einzusetzen,
sei es ein ‚Es’ als Repräsentant unserer Triebe
oder ein gewissenhaft uns tyrannisierendes ‚Über-Ich’,
ist mir, zumal nach eigenen psychoanalytischen
Studien, allerdings ebensowenig möglich, da
sie als Instanzen ähnlich verdinglicht zu
werden pflegen wie es durch die Annahme von vielen
lebenszeitlich gebundenen und
wiederauflebenden ‚Ich’-Gestalten in uns
geschähe. Genug, daß so manches, was nichtbewußt
zustandekam, mir in seiner wunderlich
assoziativen Genese plausibel und in seiner mitunter
verdeckten Funktion nachvollziehbar
wurde und ich gelegentlich sogar von der
Gegenwart her verfolgen konnte, wie sich Phantom- oder
Pseudoerinnerungen heranbilden.
Es wäre jedenfalls eine krasse und auch
sentimentale Hypostasierung,
etwas als Wesenheit oder eigene seelische Instanz
anzusetzen, das sich ebensogut als
seelische Prozedur, als Impuls oder nur als
Bewußtseinsinhalt verstehen läßt.
Im Geiste Prousts
habe ich mir aber sogleich einige Gegenfragen zu stellen. Wie weit
erstreckt sich unsere seelische Gegenwart, in der wir uns
als ‚Ich’ empfinden? Wann gehören Wünsche schon nicht mehr
zu unserem Niveau oder unseren Möglichkeiten,
und wann entspricht das Gedachte nicht mehr unserem Denken? Warum
nicht so großzügig sein, jeden erinnerbaren Wunsch
und Einfall als den unseren anzuerkennen, auch wenn die
Entwicklungsstufe, auf der er sich bildete,
längst keinen Bestand mehr hat? Gibt es nicht Sehnsüchte,
Erwartungen und Vorstellungen, die „ein
Leben lang” unerfüllt in uns umhergeistern und allein dadurch,
ob nun von uns weiterhin für gültig und praktikabel
erklärt oder nicht, uns auf unsere Geschichte mit ihren
fragwürdigen Gewinnen und Verlusten
aufmerksam machen? Steckt nicht auch in dem, was wir einst fallen
ließen oder abbrechen muß-
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