JOHANN GOTTFRIED HERDER
-----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
Herder
führt in seinem Werk jedoch Pico nirgendwo an, so daß ich eine
dritte Quelle hinter beiden vermute.2
Während nun bei dem Renaissancehumanisten
der göttliche Appell an die Freiheit des Menschen abstrakt
bleibt und nicht zu erkennen ist, wie dieses durch keine
besondere Eigenschaften determinierte
Wesen sich selber seine Lebensform geben
könne, lautet bei Herder der Appell an das zu einem
„Kunstwerk” geformte Geschöpf konkret: „Steh
auf von der Erde!” Der aufrechte Gang ist es, über den sich
die Bestimmung des Menschen erfülle, indem er unter
anderem das Freiwerden der Hände zum
handwerklich-technischen Gebrauch
ermögliche und dank der besonderen Neigung
und Formung des Kopfes eine entsprechende
Gehirnbildung sowie dank der Gestaltung des Kehlkopfes
die Sprache.3
Letztere ist für Herder das Hauptmittel
zur Bildung des Menschen, „die große Gesellerin”,
durch die er allein zur Vernunft komme. „Nur die
Sprache hat den Menschen menschlich gemacht,
indem sie die ungeheure Flut seiner Affekte in
Dämme einschloß und ihr durch Worte vernünftige
Denkmale setzte.” „Alle, die eine
gelernte Sprache gebrauchen, gehen wie
in einem Traum der Vernunft einher; sie denken in der
Vernunft andrer und sind nur nachahmend
weise”.4
-------------------------------------------------------------------------------------
2
Nämlich Platons Dialog Protagoras
(320d – 321e),
wo wie gelegentlich bei Herder die im Vergleich mit dem
Tier unzulängliche Ausstattung des Menschen
angesprochen wird. Die Titelfigur trägt hier den um
Sokrates Versammelten den Mythus vor,
wie Epimetheus sich von seinem Bruder Prometheus
erbittet, die von diesem erschaffenen Lebewesen mit
Eigenschaften auszustatten: „Wie
aber Epimetheus doch nicht ganz weise war, hatte er
unvermerkt schon alle Kräfte aufgewendet für die
unvernünftigen Tiere; übrig also war ihm
noch unbegabt das Geschlecht der Menschen, und er war
ratlos, was er diesem tun sollte. In dieser
Ratlosigkeit nun kommt ihm Prometheus die Verteilung
zu beschauen, und sieht die übrigen Tiere zwar in
allen Stücken weislich bedacht, den Menschen aber nackt,
unbeschuht, unbedeckt, unbewaffnet, und
schon war der bestimmte Tag vorhanden, an welchem auch
der Mensch hervorgehn sollte aus der Erde an das
Licht. Gleichermaßen also der Verlegenheit unterliegend,
welcherlei Rettung er dem Menschen noch
ausfände, stiehlt Prometheus die kunstreiche Weisheit
des Hephaistos und der Athene, nebst dem Feuer –
denn unmöglich war, daß sie einem ohne Feuer hätte
angehörig oder nützlich sein können –,
und so schenkt er sie dem Menschen. Die zum Leben nötige
Wissenschaft also erhielt der Mensch auf diese
Weise, die bürgerliche aber hatte er nicht. Denn diese war beim Zeus
... ”. In:
Platon.
Sämtliche Werke,
Bd. 1 (Hamburg 1965), S. 62.
Vgl.
auch Ovids Metamorphosen (I
76-86), wonach Prometheus den Menschen nach dem Ebenbild der
Götter formte und ihn mit dem aufrechten Gang
auszeichnete.
3
Ideen,
a.a.O., S. 109f. und 116f.
4
a.a.O.,
S. 231-237
- 19 -