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Spiegelsaal der Villa Palagonia in Bagheria, daneben ein Trompe-l’oeuil-Detail im angrenzenden Billardsalon

Rechts: Skulpturen auf den Seitenmauern im Park der Villa; oben eine Musikantengruppe, unten eine Nachzeichnung von
Goethes Begleiter Ch. H. Kniep und außen eine Merkurstatue
 

Quellen: www.lavocedibagheria.it/wp-content/uploads/2017/07/Villa-Palagonia.jpg www.pinterest.co.uk/pin/437834395017136414/ https://plus.google.com/photos/photo/108264428588423237788/6431525915763761954 www.goethezeitportal.de/fileadmin/Images/wd/projekte-pool/italien/reisestationen/palermo/land_leute/Palagonia_1_Kniep__500x399_.jpg   Merkurstatue: H.F. (24.8.2003)

So. 24.8.03:

Auf der Rückfahrt nach Messina biegen wir nach einer Dreiviertelstunde zur Villa Palagonia in Bagheria ab. Sie liegt im Zentrum der Stadt und ist eine der vielen Ba­rock­vil­len, die seit Beginn des 18. Jh. von Adelsfamilien aus Pa­ler­mo hier errichtet wurden. Mitte des 20. Jh. zog insbesondere die hier mächtige Cosa Nostra mit Baufördergeldern aus Rom inmitten der Villenparks und -gärten Sozialbauten von miserabler Qualität hoch. Die renom­mier­te Villa Palagonia hat von ihren Gartenanlagen, zu denen einst eine 400 lange Zufahrt mit zwei Triumphbögen gehörte, noch einen respektablen Rest behalten können. Sie liegt jedoch wie umzingelt von jenen baulichen Schand­taten da, und auch normale Familienwohnhäuser durften ihr viel zu nahe rücken. Apropos Cosa Nostra: In seinem Film ,L‘Avventura’ (1960) lässt Michelangelo Antonioni eine des Kidnappings verdächtigte Schmugg­ler­ban­de im Spiegelsaal der Villa von der Guardia di Finanzia in Verhör nehmen (Filmszene ab Minute 60).

   Goethe war es, der die Villa im April 1787 besuchte und sie durch seine scharf tadelnde Kritik als „die Pallagonische Raserei” europaweit bekannt machte. Sein abfälliges Urteil etwa über die grotesken Mau­er­skulp­tu­ren kann un­ser­eins freilich heute, insbesondere nach den Schöp­­fun­­gen der Surrealisten (die wie Dalí und Breton von der Villa entzückt waren), auf Anhieb nicht mehr nach­voll­zie­hen. Zumal so manches davon eigentlich schon im ita­lie­ni­schen Masken- und Theaterwesen angelegt ist, wie bei den „Ma­sche­ro­ni” des Pa­laz­zo Bertini in Ragusa zu sehen war. Goethe schrieb also in seiner ,Italienischen Reise’: 

Daß wir aber die Elemente der Tollheit des Prinzen Pallagonia vollständig überliefern, geben wir nachstehendes Verzeichnis.

   Menschen: Bettler, Bettlerinnen, Spanier, Spanierinnen, Mohren, Türken, Buckelige, alle Arten Verwachsene, Zwerge, Musikanten, Pulcinelle, antik kostümierte Soldaten, Götter, Göttinnen, altfranzösisch Gekleidete, Soldaten mit Patrontaschen und Gamaschen, Mythologie mit fratzenhaften Zutaten: Achill und Chiron mit Pulcinell.

   Tiere: nur Teile derselben, Pferd mit Menschenhänden, Pferdekopf auf Menschenkörper, entstellte Affen, viele Drachen und Schlangen, alle Arten von Pfoten an Figuren aller Art, Verdoppelungen, Verwechslungen der Köpfe.

... Und so sind denn auch diese Dachreihen mit Hydern und kleinen Büsten, mit musizierenden Affenchören und ähnlichem Wahnsinn verbrämt. Drachen, mit Göttern abwechselnd, ein Atlas, der statt der Himmelskugel ein Weinfaß trägt.

... Kniepen, dessen Künstlersinn innerhalb dieses Tollhauses zur Verzweiflung getrieben wurde, sah ich zum erstenmal ungeduldig ... Gutmütig genug zeichnete er zuletzt noch eine von den Zusammenstellungen, die einzige, die noch wenigstens eine Art von Bild gab. Sie stellt ein Pferdweib auf einem Sessel sitzend, gegen einem unterwärts altmodisch gekleideten, mit Greifenkopf, Krone und großer Perücke gezierten Kavalier Karte spielend vor und erinnert an das nach aller Tollheit noch immer höchst merkwürdige Wappen des Hauses Pallagonia: ein Satyr hält einem Weibe, das einen Pferdekopf hat, einen Spiegel vor.

... <Zu einem Kruzifix in der Privatkapelle:> Dem Gekreuzigten in den Nabel ist ein Haken eingeschraubt, eine Kette aber, die davon herabhängt, befestigt sich in den Kopf eines knieend betenden, in der Luft schwebenden Mannes, der, angemalt und lackiert wie alle übrigen Bilder der Kirche, wohl ein Sinnbild der ununterbrochenen Andacht des Besitzers darstellen soll.”


Bei seinem Urteil ist zu berücksichtigen, dass von den einst über 200 Skulpturen kaum ein Drittel mehr vorhanden ist, worunter sich wahrscheinlich keine der von ihm näher beschriebenen mehr findet, auch die von Kniep ge­zeich­ne­ten nicht. Es sieht so aus, als hätten die Nachbesitzer die schlimmsten Auswüchse beseitigen lassen und den ganzen Irrsinn auf diese Weise einer vielleicht schon Jahrhunderte dauernden Therapie unterzogen. Wo­mög­lich wur­de noch dies und das gewissermaßen zum Ausgleich hinzugefügt. So erblicken wir jetzt auf den Mauern eine Reihe von Musikanten, die als ein charakteristisch getroffenes fröhliches Ensemble durchgehen könn­ten. Und finden die abgebildete Statue eines Hermes alias Mercurius (mit römischer Geldbörse) in na­he­zu klassischer Manier mit gekreuzten Beinen ausgeführt, obgleich sich hier etwa der hunds­köp­fi­ge ägyptische Her­ma­nu­bis als Aus­gangs­fi­gur ei­ner besonders irrwitzigen Ausführung angeboten hätte. – Einige  Ne­ben­ge­bäu­de des Anwesens werden offenbar von ein­kom­mens­schwä­che­ren Mietern bewohnt.

   Auch in der Villa hat sich von dem verrückten Mo­bi­li­ar, den von Goe­the erwähnten schräg abgesägten Stuhlfüßen und sta­chel­be­wehr­ten Sitzpol­stern, nichts mehr er­halten. So wirkt denn auch der große Ball- oder ,Spie­gel­saal’ nunmehr ziemlich manierlich; gewisse Beklemmungen kommen freilich mit den Büsten der Familienangehörigen auf, die recht zudringlich in den Saal hineinragen. Kaum mehr verstören dürften die diversen Trompe-l’oeuil-Ein­fäl­le wie das abgebildete im ehemaligen Billardsalon. Die Wirkung der Deckenspiegel lässt sich heute nicht mehr recht einschätzen, da die Spiegelstücke mittlerweile weithin erblindet sind. Die Glasspiegel sind von un­ter­schied­li­cher Größe und Lageordnung, sodass man sich einst beim Durchschreiten des Saales in immer wieder neuer Verzerrung erblicken konnte. Wie auf einem Schriftband über dem Saaleingang zu lesen ist, soll­te der Fluss des je­de­rzeit sich verändernden Lebens auf diese Weise symbolisiert werden. Gleichwohl hat man diesem Prinzen Francesco Ferdinando Gravina II unterstellt, sich durch die Zerrbilder der Besucher wie durch die Miss­ge­stalten auf den Mauern für die Spöttereien gerächt zu haben, die er als Buckliger hinzunehmen hatte.

    Goethe hat sich über die palagonischen „Missbildungen” nicht lediglich entrüstet, sondern ließ sich davon bekanntlich auch zu einigen ,Faust’-Szenen wie ,Studierzimmer’, ,Hexenküche’ und vor allem ,Klassische Wa­lpur­gis­nacht’ in­spi­rie­ren.

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