FEHLER BEI DER ERINNERUNGSBESCHREIBUNG
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hierbei viel zu leicht ein, gerade der dadurch
eingestandene (zeitlich-)geistige Abstand läßt
viel eher Vokabular und Urteilsvermögen aus der
späteren Zeit einfließen – eine mentale
Distanzierung, die erklärt, wieso ich umgekehrt
das Präteritum unwillkürlich immer dann
verwenden möchte, wenn ein mir besonders unangenehmes
Erlebnis zu schildern ist.
Was wäre noch bei
der sprachlichen Wiedergabe von Kindheitserinnerungen zu beachten?
Als Beispiel für eine serielle Erinnerung,
die auf oft wiederholten Aktivitäten beruht und entsprechend
vage oder wie entleert erscheinen kann, rufe ich eine
Ortserinnerung aus der Zeit um 1955 auf, als ich
ungefähr zehn war. Und zwar den Hofeingang zur Wohnung
meines Spielkameraden Wolfgang, ungefähr
200 Meter vom Hause meiner Großeltern entfernt:
Der
Hofbereich mit der Hintertür des Hauses ist aus etwa zehn, zwanzig
Metern zu sehen, zusammen mit den dunklen Massen der links
und rechts angrenzenden Häuser. Mein Blick konzentriert
sich sodann unwillkürlich auf Tür und Steintreppe, nun
aus wenigen Metern Entfernung betrachtet, wobei sich jetzt
lebhaftere Szenen einstellen: wie wir nämlich auf der
Treppe Karten spielen (,Siebzehn und vier’, fällt
mir dabei ein), wie wir dort sitzend Comics lesen – wobei ich
weiß, daß ich hier anhalten und mir mögliche
Serientitel vergegenwärtigen könnte – oder
wie wir dort nur sitzen und darauf warten, daß Wolfgang endlich
mit dem Essen fertig ist.
Die Dramaturgie der
Blick- und Szenenwechsel stimmt in etwa, Bildränder und -tiefe,
Raum- und Präsenzgefühl aber wären aus dieser
Beschreibung nicht wiederzuerkennen. Die Distanzangabe in Metern
kam erst nach einer zusätzlichen, äußerlich
abschätzenden Überlegung zustande, bleibt jedoch,
als Raumtiefe, für dieses erste eröffnende
Erinnerungsbild unerheblich. Wichtiger bei diesem
Ausgangsbild ist das Raumgefühl, die Empfindung der
„dunklen Massen” zu beiden Seiten. Daß es „Häuser”
einer Siedlung sind, weiß ich dabei, habe es aber so
nicht vor meinem inneren Auge, finde dort – bei der Wiederholung
– entweder nur Dunkelheit vor oder, bei
stärkerer Konzentration darauf (wobei der Blick
allerdings leicht zur Seite hin verrückt werden muß)
hellgraue, zart strukturierte Häuserschemen. Das Wort
„Häuser” dürfte so also nicht gebraucht werden, erst recht
nicht „angrenzen”, da kein Übergang von der
Dunkelheit zum Hof- und Treppenbereich hin auszumachen
ist. Auch sehe ich dann keine „Steintreppe”,
sondern etwas Treppenartiges (undeutlich, ohne
Stufengliederung), von dem ich nur beiläufig
weiß, daß es aus Stein ist. Was wir da auf der Treppe lesen, dürfte
ich nicht mit dem Fachbegriff „Comics” bezeichnen,
es waren für uns „Hefte” oder vielmehr „Heftchen”,
die wir immer schon nach ihren Serienhelden
wie „Sigurd” oder „Kleines Adlerauge” benannten.
Wer eigentlich noch zu der Angabe „wir” gehört,
bleibt unbestimmt, kein weiterer Spielgefährte ist auch
nur umrißhaft zu erkennen. Eingestellt
hat sich lediglich das Gefühl, daß beim Warten auf Wolfgang
noch ein anderer Junge mit mir zusammen
dasitzt. „Ich”
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