FEHLER BEI DER ERINNERUNGSBESCHREIBUNG
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monieller
Besinnlichkeit einem flüchtig erwärmenden Gemeinschaftsgefühl
hingeopfert wird. Nicht minder verständnislos der
beliebte, wie aufgeschlossene und erfahrungslustige
radikale Gestus, sich von der eigenen Geschichte
zugunsten des „produktiven Blicks nach
vorn” abzuwenden, so, als müßte das Aufdecken von
Erinnerungsthemen und -strukturen
unproduktiv bleiben. Auch diese Unempfindlichkeit für
die eigene Kindheit und Jugend ist allemal eine
Unkultiviertheit und darin eine Barbarei, daß sie all das
fraglos gelten läßt, was einem widerfuhr, als
man noch besonders beeindruckbar und oft nahezu wehrlos war.
Wie aber sollte ein
Erinnerungsinhalt noch einer Kultivierung fähig sein? Muß er nicht
das Schicksal der erinnerten Zeit teilen, die nun
einmal in ihrer damaligen Gestalt nicht mehr existiert, nicht
mehr umzuarbeiten und nur noch als ein inzwischen
vielfach Überarbeitetes präsent ist? Ähnelt
nicht jeder Versuch, in eine längst verlassene
Lebenssituation erinnernd einzudringen, um ihre Atmosphäre
und die eigene Stellung darin kennenzulernen,
dem Illusionstrick, wenn man beim Betrachten eines alten Photos,
das ein uns wohlvertrautes Zimmer zeigt, den
fixen Photocharakter mit einer Lupe zu überlisten, die Distanz des
Betrachters aufzuheben sucht, indem man
in langsamer schwanker Lupenfahrt allmählich das
Gefühl einer räumlichen Anwesenheit im einst Photographierten
gewinnen kann?
Wäre
die Annäherung in der Erinnerung nur so einfach! Der Blick
durch die Lupe vermag zwar auf Augenblicke die Rahmung des Bildes
und die Geschlossenheit des Ensembles zu verdrängen und so den
Details ein Eigenleben zu verleihen, den Charme des
lange unberührt, ja seit eh und je unbeachtet
Gebliebenen, läßt dabei aber das Bildmotiv sichtlich
intakt und stellt sich nur in der Tiefenschärfe
von Detail zu Detail neu ein. Beim Erinnern dagegen
– besonders an die Kindheit – finden wir oft nur
verschwommene, verwischte, trübe oder fast
zur Unkenntlichkeit verblaßte Bilder und Szenen
in uns vor. Um sie festzuhalten und mitteilbar zu machen,
ist statt der Lupe das unendlich komplexere Kunstmittel der
Sprache einzusetzen, die das Erinnerungsbild und
-empfinden dabei massiv überarbeitet und durch
Wortwahl und Syntax aus dem Verschwimmenden
unversehens etwas Festumrissenes macht.
Dieses wird sodann erneut dadurch verändert und
unvorhersehbar zerstreut, daß es als
sprachlich Formuliertes übersetzt werden
muß in das individuelle Vorstellungsvermögen
des Lesers – und zu den Lesern kann schon bald der Verfasser
der Erinnerungsbeschreibung selbst
gehören, ist er doch nicht selten geneigt, diesem schon
Ausformulierten mehr zu trauen als seiner späteren
Erinnerung, die genau so authentisch ist, aber eben
schon stärker verblaßt sein dürfte.
So weit ich sehe,
gibt es noch keine Untersuchungen dazu, was bei der Wiedergabe
von Erinnerungen zu beachten ist oder welche
Beschreibungsformen erst noch zu entwickeln wären. In empirischen
psychologischen Studien wird wohl
gezielt etwa nach
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