Bildquelle: https://leonivo.files.wordpress.com/2017/07/schneewittchen_teil_1_theodor_storm.png?w=640
„Schneewittchen”-Aufführung mit Elke
Nach
Unterrichtsschluß sehe ich einmal im Klassenraum einer Probe für
das Stück
‚Schneewittchen’
zu, das einige von uns bald den Eltern vorspielen sollen. Elke
Thevagt hat die Hauptrolle, ich selber mache wohl nicht mit.
Doch
werde ich bald unsicher: Hatte ich nicht doch eine kleine Rolle in
dem Stück, etwa als Zwerg? Monate später sehe ich, dass ich das
Stück schon um 1980 bei Theodor Storm wiederfand, ein etwa 10 Seiten
langes dramatisches Fragment ‚Schneewittchen. Märchenszenen’.
Damals notierte ich am Rand: „in Volksschule gespielt – ich
einer der Zwerge, welcher?” Beim neuerlichen Überlesen sind mir
die Dialoge wieder so vertraut, dass ich den Eindruck bekomme, Zwerg
4, 5 oder 6 gewesen zu sein. Jeder der drei spricht nur
einige kurze Sätze:
„Zwerg 4: Wer hat
mit meinem Gäblein zutappt?
Zwerg
5: Wer hat aus meinem Becherlein trunken?
Zwerg
6: Wer hat mein Löfflein eingetunken? ...
Zwerg
4: Schau nur, die Dornen zerrissen mein
Röcklein!
Zwerg
5: Streiften mir ab vom Käppchen das Glöcklein! ...”
Vermutlich
war ich Zwerg 5, der für seinen Einsatz
auch den Text von Zwerg 4 so gut wie den eigenen kennen musste. Und
war außerdem wohl nur ein „Ersatzzwerg”, denn hätte ich vor den
Eltern mitgespielt, könnte ich dies nicht so einfach vergessen
haben!
Elke
aber ist für
mich immer das Schneewittchen geblieben,
ja, bei meinem Vorstellungsbild von unserer Probe fällt mein erster
Blick unwillkürlich auf die – bei Storm gar nicht präsente –
Scheintote im Sarge.
Wie
Elke doch so ernst und traurig, mit dunklen Schatten unter den Augen,
herüberblickt und ihre Schultern so vornüberhängen läßt!
Unsäglich hilfsbedürftig kommt sie mir vor, dann wiederum muß ich
sie bewundern, da sie die
Klassenbeste und dabei so bescheiden
ist. Habe ich nie versucht, ihr ein Zeichen meiner mit Bedauern
gemischten Zuneigung zukommen zu lassen? Und seit je
verbindet sich auf geheimnisvolle Weise das Wort „Himmelfahrtsnase”
mit ihr.
Ihre
etwas spitzig hochdeutende Nase dürfte mich an die ähnliche
Nasenspitze meiner früh verstorbenen Freundin Gitti erinnert haben –
mithin an deren „Himmelfahrt”!
Elke hilft öfter
ihren Eltern in dem kleinen Lebensmittelgeschäft,
in das ich mich gern zum Einkaufen schicken lasse. In seinem grauen
Kittel, einen Kugelschreiber oder Bleistift in der Brusttasche, steht
ihr Vater da, ein schmaler Mann scharfen Falten in den Wangen. Die
Mutter, klein und rundlich, sitzt meist bei der Kasse. Beide
sprechen leise, nehmen meine Bestellung stumm entgegen und
unterhalten sich auch danach nicht mehr mit mir. Rechnen sie nicht
alles auf einem Zettel zusammen? Verstohlen schaue ich zu
Elke hinüber, doch scheint sie mich nicht weiter zu beachten! In
meiner Erinnerung ähnelt
der Laden einer Puppenstube,
sehe ich doch helle metallene Schäufelchen für Mehl
und dort bei der Kasse Ware in Säcken, die nach außen hin
umgekrempelt sind. Wird hier noch mit den winzigen Messinggewichten
gewogen? Und sind nicht die Regale an der Längswand mit
Holzschublädchen ausgestattet?
Auf
dem Konfirmationfoto
zeigt Elke keine Spur mehr von jener Niedergeschlagenheit und kommt
mit ihrem nun straff zurückgekämmten Haar meinem Erinnerungsbild
von etwa 1960 nahe, als ich sie noch ein letztes Mal beim
Marktplatz-Kino mit dem Fahrrad neben Annette
Titzenthaler
stehen sah; beide schlank, in „Dreiviertelhosen”, munter und
zweifellos selbstbewusst. Wie ich damals zu wissen glaubte, gingen
beide auf das Lyzeum der Nachbarstadt. – Ja,
zusammen mit Etta
Zwitzers
besuchten sie das Elly-Heuss-Knapp-Gymnasium in Duisburg-Hamborn.
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