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Auf dem Neuen jüdischen Friedhof in Prag-Žižkov; rechts die Gedenkktafel für Kafkas
Freund Max Brod


PILSEN (PLZEŇ): Im Zentrum die Kathedrale, links dahinter die Große Synagoge und
im Hintergrund Škoda-Werke
Quellen: http://4.bp.blogspot.com/-6fBPMFHZF_c/TeC5qCLaJbI/AAAAAAAAAYs/II65OAIyYSg/s1600/P5260704.JPG https://monologe.wordpress.com/2012/12/18/judischer-friedhof-prag-teil-iv-und-schluss/ http://img.radio.cz/pictures/t/czech/plzen2.jpg

 

Do. 8.6.06: Da die Straße vor dem Hotel ab 7 Uhr für eine größere Reinigungsaktion geräumt sein muss, habe ich mich früh wecken lassen, finde aber im ganzen Viertel keinen Parkplatz. So stelle ich den Saab wieder beim Hotel ab und warte nach ziemlich hastigem Solofrühstück draußen auf die Reinigungswagen, die schon in der allernächsten Umgebung zu hören sind. Etliche Anlieger sitzen war­tend in ihren Autos; bald gesellen sich einige im konformistisch-schwarzen „Kreativen”-Look gekleidete Manager mit iPod oder Kopfmikrofon fürs morgendliche Geschäftsdiktat hinzu, offenbar Hotel­gäste, die auf Taxis warten.

   Vor der Heimfahrt besuchen wir noch in Žižkov den Neuen jüdischen Friedhof mit Kafkas Grab. Ich habe mir hierfür wie schon für den Besuch der Altneu-Synagoge eine Kippa aufzusetzen. Wie viel deut­sche Namen in unserer Schrift doch auf den Grabsteinen dieses 1890 angelegten Friedhofs zu finden sind! Kafka hat in der hebräischen Beschriftung des Grabsteins den religiösen Ehrentitel „Mo­reno” („unser Lehrer”) erhalten; der Grabstein selbst, ein Obelisk, stammt von dem kubistisch inspirierten Prager Architekten Leopold Ehrmann. Diesem Familiengrab gegenüber ist eine Gedenktafel für Kafkas Herausgeber und Nachlassverwalter Dr. iur. Max Brod in die Friedhofsmauer eingelassen.

***

 

Nach einer guten Fahrtstunde machen wir in Pilsen Halt. Die 1987 bei unserer Durchfahrt so graue und trist wirkende Stadt ist kaum wiederzuerkennen, was nur zum Teil an der inzwischen hinzuge­tretenen grellen Buntheit der Konsumwerbung liegt. Die Geschäfte um den Marktplatz machen einen soliden Eindruck; auch können wir hier jenes gestern vor der Prager Gröbe-Villa bewunderte Mo­torrädchen kaufen. Aus arbeitsmarktpolitischen Gründen gibt es immer noch augenfällig zu viel Personal; in dem Spielzeugladen folgt uns ein Dreiergrüppchen auf Schritt und Tritt, niemand aber kommt von selber darauf, für eine von uns gewünschte nähere Inspektion die Plastikplane von dem Motorrädchen zu entfernen. Auch die Bediensteten in Museen und anderen öffentlichen Gebäuden zeigten sich mitunter wenig gewandt oder entgegenkommend.

   Betont weltläufig hingegen gibt sich in Pilsen ein kleines Marktplatz-Café mit laufendem MTV-Programm, das wir für Cappuccino und Kuchen anlaufen. Dann aber dringt doch wieder der stark provin­zielle Charakter durch. Zuerst bei zwei des Englischen und Deutschen nicht kundigen Polizistinnen, die uns nur mühselig und sehr ungefähr den Weg zur Autobahn hin angeben können. Überhaupt kommt man mittlerweile mit der deutschen Sprache nicht mehr weit, selbst an der Hotelrezeption haben uns die – freilich jüngeren – Manager(innen) bald um Englisch gebeten. Jetzt versuche ich an einer Tankstelle dem Fahrer eines Kleinwagens klarzumachen, dass ich die Autobahn zur deutschen Grenze hin suche. Er kann mein Ansinnen einfach nicht begreifen, nur seine Frau hätte offenbar – so Ruths Eindruck – die Richtung anzugeben gewusst, sich dies aber nicht getraut. Bis unmittelbar vor der tschechisch-deutschen Grenze fehlt jeder Hinweis auf Autobahn und Richtung. In Deutsch­land hingegen wird man sogleich mit einem „Willkommen!” begrüßt.

   Die Autofahrer der Prager Region verhalten sich im übrigen sehr vernünftig; ihre Autos, häufig die schon 1987 von uns bewunderten und lange Zeit nur in Pilsen fabrizierten Škodas, sind meist in ei­nem gepflegten Zustand.

13.7.87: In Pilsen legen wir <auf der Hinfahrt nach Prag> einen Halt ein; soeben kommen hunderte Arbeiter rasch und still aus den mit Fahnen dekorierten Fabriktoren. Solche Fahnen und bunte Politparolen bleiben auch unterwegs oft die einzigen Farbtupfer. Ein vorsintflutlich wirkendes Postbüro in Pilsen erfreut uns wegen der geschickte Anbringung der Postleitzahlen auf Walzen. Bedrückend aber das Angebot in einem Konsumgeschäft, Kaffee in 50-Gramm-Beutelchen und Kekse, die uns nicht schmecken wollen.

 

14.7.87: Wir fahren aus Prag hinaus aufs Land. Wo Haus und Garten noch in privater Hand sind, ist das meiste gut gepflegt. Kärgliche Angebote in den Dörfern, mal gibt es reichlich Zitro­nen, mal Paprika, dann wieder Gurken mit halb verwelktem Salat dazwischen; keine Äpfel, geschweige denn Südfrüchte (auch in den luxuriöseren Hotels kaum). Die Landstraßen sind durchweg miserabel und gefährlich an den Randbefestigungen, wenn auch nicht so wüst wie oft in den USA. In der Nähe unseres Hotels entdecken wir einen Markt von Privatverkäufern mit besseren Angeboten, auch Kirschen sind hier zu haben; offenbar dürfen diese Verkäufer mit den staatlichen Gesellschaft konkurrieren. Anders erleben wir es dann in der DDR, wo Privatper­sonen ihre Produkte anscheinend an die Produktionsgenossenschaften liefern, aber nicht mit ihnen konkurrieren dürfen.

   In Hotelnähe befindet sich auch ein TUZEX-Laden, wo wir mit einer Art Ersatzgeld einkaufen können, das gegen konvertible ausländische Währungen eingetauscht wird. Hier bietet man auch westdeutsche Waren wie Waschmittel, Kühlschränke und Heimbohrer an. In der DDR sind es die INTERSHOPS, deren Angebot zumindest in Ostberlin besonders reichhaltig ist.

   ... Die Prager Männer, so unser Eindruck, sind in ihrem Auftreten still, gedämpft und wirken oft ein wenig deprimiert; ihre durchschnittliche Physiognomie ist feiner als die der Deutschen (am folgenden Tag erschrecken wir beinahe angesichts der vielen vierschrötigigen DDR-Teutonen!). Und wie die Männer sind in Prag die Frauen deutlich gepflegter und eleganter gekleidet (nähen sie noch selber oder lassen sie schmeidern?) als es in der Regel die Bundesdeutschen sind.


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