RÜCK- UND AUSBLICK
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ethischen
Normen gehört. Freilich sind sie
nun als ausschließlich vom Menschen gesetzte zu
verstehen, als solche in ihrer Relativität
und individuell schwankenden
Akzeptanz hinzunehmen und bei Bedarf
Mal auf Mal zu revidieren.
Auch Helmuth
Plessner hält die metaphysische Fragerichtung,
die komplementär zur bestürzenden Erfahrung der
Kontingenz des Menschen und alles Seienden nach einer
Letztbegründung und Absicherung sucht, als solche für
unausweichlich. Schelers Antwort jedoch ist für
ihn als geistige Orientierungssuche
willkürlich und dogmatisch. Gegen alle
überlieferten Autoritäten fordert er den geistigen
Mut zu einer radikalen kathartischen
„Selbstentsicherung”.21
Die prinzipielle
Ungesichertheit der Position des Menschen,
seine Ort- und Heimatlosigkeit ist als Ausdruck
seiner geistigen Rastlosigkeit
und Selbstüberschreitungen also nüchtern
zu konstatieren, rückhaltlos zu erforschen und das
Menschenmögliche aus dieser prekären
Offenheit zu machen. Die
Weltoffenheit des Menschen ist für Plessner aber
nicht absolut wie für Scheler,
sondern immer nur eine bedingte. Sein Stufenmodell
des Organischen beherzigt nämlich die
Einsicht, daß die niedrigeren Stufen noch
in den sie überformenden höheren
enthalten sind. So bleibt auch die „geschlossene”
Positionsform des Tieres im Menschen
erhalten, der als leibliches Wesen seine
„Zentrierung” nicht durchbrechen kann, als
agierendes „Ich” im Hier-und-Jetzt gebunden
bleibt, freilich hinter sich selbst kommen kann und um sein
nichtobjektivierbares Selbst weiß.22
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21
„Nur auf dem ... Wege der bewußten Steigerung der destruktiven
Argumente und ihrer systematischen Zuspitzung gegen alle bisher
mitgeschleppten Sicherungen kann man das Fundament menschlichen
Seins so exponieren und entsichern, daß die Destruktion
eines angeblich fraglosen Eigenwesens des Menschen die Umkehr in die
Entscheidung zur Menschlichkeit erzwingt. Diesen Mut
zur rückhaltlosen Skepsis als einer Methode
des Menschen, sich durch Selbstentsicherung
wiederzufinden,
muß die Philosophie aufbringen”. Die
Aufgabe der Philosophischen Anthropologie
(1937). Wiederabdruck
in: Conditio
humana. Gesammelte Schriften,
Bd.
VIII „Taschenbuch Wissenschaft” (Frankfurt/Main 2003),
S. 33-51 (Zitat S. 46)
Zum
Stichwort „Selbstentsicherung” vgl. den Forschungsbericht
von Hans-Peter Krüger, Angst
vor der Selbstentsicherung. Zum gegenwärtigen
Streit um Helmuth Plessners philosophische Anthropologie.
In: Deutsche
Zeitschrift für Philosophie 44 (1996),
Heft 2, S. 271-300.
22
Helmuth Plessner, Die
Stufen des Organischen und der Mensch (1928).
Ich zitiere nach der 3. Auflage
(Berlin, New York 1975); S. 292-294.
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